21. Dezember 1943

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English

Heute ist der dritte Tag nach dem ersten Angriff auf Boshidar. Die Roten haben einen erneuten Angriff auf den Abschnitt unseres linken Nachbarn angesetzt und dort mehr Glück gehabt. Sie haben hier die Front mehrere Kilometer tief eingedrückt und stehen nun bedrohlich in der Flanke unseres Bataillons. Prompt tauchen heute schon weit hinter uns von links mehrere T-34 auf, die in unserem Rücken auf Kitaigorodka zufahren, dem Sitz des Regiments.[1] Wir zählen vier Stück. Mit bloßem Auge sind sie noch gut als große dunkle Punkte zu erkennen, die über die weiße Schneefläche kriechen. Sie sind etwa vier Kilometer entfernt. Das ist ein gefundenes Fressen für unsere Hornisse, die neben dem Bataillonsgefechtsstand aufgefahren ist. Das Rohr schwenkt herum, die Männer richten. Ich stehe schräg hinter dem Geschütz und beobachte gespannt den Vorgang. Dann kracht der Abschuss, und ein furchtbarer Luftzug reißt mir die Mütze vom Kopf, fegt sie durch die Haustür und den Vorraum in den Pferdestall, wo ich sie dann aus dem Mist aufhebe. Den Einschlag dieses Schusses habe ich nicht gesehen. Ich stelle mich jetzt in etwas sicherer Entfernung auf und sehe weiter zu.

Ein paar Landser nähern sich und stellen sich vor das Geschütz. Das Rohr schwebt hoch über ihnen, denn das gepanzerte Fahrzeug hat eine beachtliche Höhe. Aber die Geschützbedienung schickt die Männer weg und erklärt, dass der Luftdruck des Abschusses jedem die Lunge zerreißt, der im Umkreis von 30 m vor dem Geschütz steht.

••• S. 164 •••Der dritte Schuss kracht, und drüben springt eine schwarze Fontäne vor einem der Panzer auf. Der dreht sofort ab, und die anderen folgen ihm. Das war der dritte und letzte Tag der Panzerkämpfe. Sie haben es aufgegeben.

Bei der Feststellung der Abschusszahlen gibt es etwas Ärger. Der ehrgeizige Chef der 14. (Panzerjäger-) Kompanie, Russenmüller genannt, beschwert sich beim Kommandeur darüber, dass ein Abschuss seiner Pak der Hornisse gutgeschrieben worden war. Er hat den Durchmesser des Einschusses nachgemessen, der genau dem Kaliber seiner Pak entsprach. Ob noch andere Einschüsse vorhanden waren, und ob sein Einspruch Erfolg hatte, entzieht sich meiner Kenntnis.

Der abgeschossene Panzer auf der Dorfstraße soll gesprengt werden. Es ist der, der unsere Landser auf dem Feld niedergewalzt hatte. Die mit der Sprengung beauftragten Pioniere holen zunächst den toten Kommandanten aus dem Turm. Er ist völlig verbrannt und sieht aus wie eine schwarzbraune Mumie von der Größe eines Kindes. Dann klettert ein Pionier in den Turm, kommt aber mit allen Anzeichen größten Erschreckens wieder herausgesprungen. Drinnen stöhnt es in grauenhaften Tönen. Das muss der Panzerfahrer sein. Was tun? Den Bolschewisten ist nicht zu trauen. Zu viele Deutsche sind schon der russischen Heimtücke erlegen. Wer ist sicher, dass der Schwerverwundete – wenn er es ist – nicht mit letzter Kraft die Pistole auf den Retter abdrückt, aus Angst und halbbewusstlosem Abwehrinstinkt, aus Hass oder Rache? Wir haben es doch schon erlebt. Niemand will in den Panzer hinein. Das Misstrauen ist zu groß. Da machen die Pioniere zwei Tellerminen fertig, lassen sie an einem Draht in den Panzer hinunter, gehen in Deckung und sprengen das Wrack in die Luft.

So ganz erfolglos war der sowjetische Panzermassenangriff also doch nicht. Bei uns hatte er zwar nicht viel Boden gewonnen, bis auf das linke Nachbardorf. Aber im linken Nachbarabschnitt war er durchgebrochen. So macht unsere Frontlinie jetzt also oben auf der Hochfläche einen rechtwinkligen Knick nach rückwärts und verläuft parallel zum Dorf gleich oben am Rand der Hochfläche entlang. Wir können vom Bataillonsgefechtsstand aus die Landser dort oben sehen, und sie gucken ins Dorf hinunter. Da dort aber noch keine neuen Stellungen ausgehoben sind, stehen die Männer heute nacht auf freiem Feld. Zu kleinen Gruppen zusammengefasst, bilden sie so eine dünne Sicherungslinie, in die sich als Verstärkung und zur moralischen Unterstützung noch die beiden Sturmgeschütze hineingeschoben haben. Außerdem stellt der IG-Zug noch eine Gruppe von acht Mann zur Verfügung, und ich habe den Auftrag, diese Männer als weitere Verstärkung auf die Höhe zu führen.

Es ist schon dunkel, als wir abmarschieren. Wir durchqueren den Bachgrund und stapfen dann den verschneiten Hang hinauf. Nebel ist aufgekommen und verschlechtert die Sicht noch mehr. Man kann kaum zehn Meter weit sehen. Vor mir tauchen einige Gestalten auf, die den Hang herunter kommen und gerade auf uns zu laufen. AIs ich sie anrufe, erhalte ich keine Antwort. Die Schatten ducken sich lautlos, die Hinteren machen kehrt und schon sind sie alle in dem milchigen Dunkel verschwunden. Ich verhalte einen Augenblick kniend, um zu horchen, lasse dann ausschwärmen und setze den Zurückweichenden nach. Aber die schemenhaften Schatten sind verschwunden. Als ich oben auf dem Hang ankomme und die Sicherungsposten frage, ob sie nichts gesehen hätten, verneinen sie mit erstaunten Gesichtern. Nun bin ich auch nicht mehr sicher, ob es eigene oder feindliche Männer waren. Wir haben jetzt viele Leute unter uns, die keine Infanteristen sind und sich demzufolge nicht immer geschickt verhalten. Außerdem sind sie alle zur Zeit etwas nervös. Da kann man auch nicht gleich schießen. Sie würden auch nicht zugeben, dass sie es waren. Aber ich möchte doch glauben, dass es Russen waren, die sich verlaufen hatten.

Es ist dunkel. Draußen fällt ein Schuss. Das ist in diesen Tagen nichts Besonderes, und ich nehme keine Notiz davon. Kurz darauf setzt eine kurze Schießerei ein, die gleich wieder abflaut . Da muss aber doch etwas los sein. Ich gehe hinaus und treffe mit einem Melder zusammen, der berichtet, dass eben ein Unteroffizier erschossen wurde. Es war der Fahrer des Verpflegungsfahrzeugs für die Sicherungen oben auf der Höhe. Als er mit seinem Panjewagen gerade die kleine Brücke über den Bach hinter den Gärten passiert hatte, wurde er durch einen Schuss aus dem Hinterhalt getötet. Der Unteroffizier war Träger der silbernen Nahkampfspange (20 Nahkämpfe!) und des EK I.

••• S. 165 •••Ich gehe zum Bataillon, um zu hören, ob irgendwelche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Da bringen sie schon einen blutjungen Rotarmisten herein. Der Kerl ist etwa 18 Jahre alt, kräftig und stämmig gebaut, mit runden, roten Pausbacken und kleinen Schweinsaugen. So ein richtiger bulliger, russischer Kaschkopf[2]. Während der O.O. (Ordonnanzoffizier) seine Papiere durchsieht, berichtet ein Landser, wie er ihn gefangen hat: Als sie den ersten Schuss hörten, griffen sie zu den Waffen und liefen hinaus. Im Garten stießen sie auf einen russischen Spähtrupp, der sofort die Flucht ergriff. Die Deutschen schossen hinterher, verwundeten drei Russen tödlich und schleppten die Leblosen in den Garten zurück, wo sie sie zunächst nebeneinander liegen ließen und wieder ins Haus zurückkehrten. Nach einiger Zeit verspürte einer der Landser ein menschliches Rühren. Er verließ die Stube und hockte sich im Garten neben die Toten. Während er da so still in der Hocke saß, hörte er deutlich, dass einer der Toten atmete. Er rief die Kameraden heraus, die die Leblosen noch einmal genauer untersuchten. Dabei entdeckten sie, dass einer von ihnen, eben dieser junge Kerl, quicklebendig war. Er hatte sich nur tot gestellt.

Nun steht dieser Bursche hier. Er war mit dem Spähtrupp durch unsere dünne Sicherungslinie geschlichen, hatte sich im Garten versteckt und beobachtet. Da kam der Unteroffizier mit dem Versorgungsfahrzeug angefahren. Er war allein und bot ein bequemes Ziel. Da haben sie ihn erschossen. Wir kochten vor Wut, konnten aber schließlich nichts machen. Der O.O. zeigt uns das Soldbuch des Gefangenen. Es enthält eine Eintragung über die Mitgliedschaft des Burschen im Komsomol. Das ist nichts Besonderes. Aber einer der Anwesenden gerät darüber in Zorn. Er springt auf den Bolschewisten zu und schlägt ihm ein paar Fausthiebe ins Gesicht, dass er aufs Bett fällt. Aber der Rote ist nicht im Geringsten erschüttert.


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Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

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  2. Der Autor hat diesen Begriff im Gespräch mehrfach als Ausdruck für das Aussehen von Russen verwendet, ohne ihn jedoch zu erläutern. Im Internet sind nur sporadische Erwähnungen zu finden; eine ergibt die Übersetzung „Breikopf“ (Kascha (каша) bedeutet Brei, Kopf meint sicher – als pars pro toto – einen Menschen), eine versteht unter einem Kaschkopf einen Lagermitarbeiter, eine weitere konkretisiert dies als Lagerfunktionär (der mehr Brei bekommt als andere). Der Autor könnte also einen von Brei lebenden bzw. einfachen Menschen meinen (als Gegenstück zum kraut, dem Deutschen als Sauerkrautesser); es ist aber nicht auszuschließen, dass er nur eine slawische Kopfform andeuten möchte.