25. Dezember 1943
25.12.43. Erster Weihnachtsfeiertag! Ich fahre plötzlich von meinem Strohlager hoch. Der Tag beginnt gerade zu dämmern, da krachen die Granaten schon um unseren Bunker. Der Feiertag fängt gut an! Der Russe hat mit dem Morgengrauen sein Störungsfeuer schlagartig verstärkt. Nun poltert und donnert es draußen schon seit Stunden, mal nachlassend, mal anschwellend. Dann setzt es plötzlich ganz aus, so dass man denkt, jetzt greift er an. Aber er kommt nicht. Und dann setzt das Artilleriefeuer wieder ein, tropfend, kleckernd, aber beharrlich. Inzwischen ist es Mittag geworden, und damit wächst die Hoffnung, dass er heute nicht mehr angreift. Ich beobachte das Feuer aufmerksam. Womit schießt er? Wo liegt das Feuer? Verstärkt er es an bestimmten Stellen? Verlegt er es nach vorn oder rückwärts? Aus solchem Verhalten kann man auf mögliche Angriffsabsichten oder -ziele schließen. Daneben steht im Unterbewusstsein die Sorge um einen Volltreff er auf meine Bretterbude. Ich greife zum Fernsprecher und kurbele – kein Ton. Ich drehe noch einmal an der Kurbel – Stille. Also ist die Leitung zerschossen. Na schön, das Bataillon wird sie schon flicken. Es gehört zu seinen Aufgaben.
Der stundenlange, ununterbrochene Beschuss stumpft die Spannkraft allmählich ab. Die Aufmerksamkeit lässt nach. Ich höre schon lange nicht mehr hin. Aber trotzdem lässt mich jede Veränderung der Feuertätigkeit aufhorchen. Lässt das Feuer nach, oder hat er es verlegt? Ich habe nun doch den Eindruck, dass er das Gelände nur abstreut. Ein starkes Störfeuer über dem ganzen Abschnitt.[1] 16 Uhr. Es wird dunkel. Meine innere Handfläche ist wieder etwas feucht. Also doch nervös?
Endlich hat das Feuer aufgehört. Jetzt fällt mir ein, dass ich den ganzen Tag über noch nichts gegessen habe. Der schöne Weihnachtsstollen liegt noch unberührt im Papier. Aber ich habe noch keinen rechten Appetit. Die innere Unruhe muss erst etwas abklingen. Und mit der allmählichen Entspannung finden die Gedanken auch wieder zum heutigen Festtag zurück: Erster Weihnachtsfeiertag!
Tagelang hat uns die rote Flut berannt und bestürmt. Wir haben ihr standgehalten. Zwar hat der Feind beim linken Nachbarn Gelände gewonnen und steht in unserer Flanke, aber wir sitzen noch in Boshidar. Er hat uns mit schwerer Artillerie betrommelt, aber es half ihm nichts. Er hat fast ein ganzes Panzerkorps geopfert. Wir haben es ihm zerschlagen. Er hat uns, vor allem unserem linken Nachbarn, schwere Verluste zugefügt, aber wir weichen nicht.
Ich werde zum Bataillonskommandeur gerufen. Hauptmann Gust liest mir ein Telegramm des Regimentskommandeurs vor, in dem Oberst Haarhaus dem Bataillon für seine Standfestigkeit seine höchste Anerkennung ausspricht. Das Telegramm endet mit den Worten: „Heil den Siegern von Boshidar!“. Dann sieht Hauptmann Gust mich an und sagt: „Damit sind auch Sie gemeint, Schrödter!“
Ich kehre zu meinem Bunker auf der Höhe zurück. Nachts kommt der Russe mit einem Spähtrupp, wird aber abgewehrt. Der Spähtrupp war ziemlich stark. Ich hatte 30 Mann gemeldet, stieß aber damit beim Kommandeur auf Zweifel. Und ich glaube jetzt auch, dass es weniger waren.
Die schweren Abwehrkämpfe um Boshidar werden im Divisionstagesbefehl vom 14.1.44 nochmals kurz geschildert.
Ich finde es nicht richtig, dass für gute Truppenführung Tapferkeitsauszeichnungen verliehen werden. Ich weiß, dass auf der Truppenführung schwere Verantwortung und harte Nervenproben lasten, und dass ein hohes Maß verschiedener Fähigkeiten erforderlich ist. Aber diese Leistungen erfordern keine Tapferkeit im üblichen Sinn, wenngleich sie in ihrer Bedeutung ebenbürtig sind. Deshalb sollten Truppenführer Auszeichnungen für Truppenführung bekommen, aber nicht für Tapferkeit.
Der links von uns durchgebrochene Russe bedroht unsere Flanke und soll deshalb im Gegenangriff zurückgeworfen werden. Zur Vorbereitung dieses Unternehmens findet beim Bataillonskommandeur eine Besprechung statt. Eine gepanzerte Einheit soll den Angriff unterstützen, und deshalb ist auch der Kommandeur einer Sturmgeschützbrigade anwesend. Es ist ein forsch und selbstbewusst auftretender Mann, der vor Angriffslust zu strotzen scheint.
Der Gegenangriff ist missglückt. Man hatte nur eine Kompanie angesetzt, die durch Sturmgeschütze unterstützt wurde. Aber die Sowjets hatten auf der Höhe bereits einen Pakgürtel aufgebaut – auch eine ihrer Stärken – an dem unser Angriff zerbrach. Der Führer der Sturmgeschütze schob die Schuld auf ••• S. 168 •••die Infanterie, die zu langsam gewesen sei. Die Infanterie dagegen warf ihm vor, er habe seine Sturmgeschütze schonen wollen und sie zu früh zurückgezogen.[3]
Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang |
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente |
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen |
- ↑ Entgegen diesem Eindruck berichtet das KTB des PzAOK 1: „Beim XXX. A.K. greift der Gegner nach starker Art.- und Schlachtfliegervorbereitung seit den frühen Morgenstunden laufend in Rgt.-Stärke mit Schwerpunkt gegen Boshidar an.“ (NARA T-313 Roll 62 Frame 7297731) „Obwohl die Angriffe immer wieder aus der Tiefe genährt werden und von 25 - 30 Panzern und Sturmgeschützen unterstützt werden, gelingt dem Feind an dieser Stelle kein Einbruch. Unter hohen blutigen Verlusten und unter Abschuß von 5 Panzern brechen die Angriffe vor Erreichen der eigenen HKL zusammen.“ (Frame 7297732/33)
- ↑ Benary S. 151 f. Das Regiment wurde im Wehrmachtsbericht vom 27. Dezember erwähnt, allerdings der Name des Kommandeurs falsch geschrieben. Am 07.02.1944 erhielt Gust das Ritterkreuz.
- ↑ vor dem 28., denn „An der Front des XXX. A.K. [...] herrscht heute [am 28.] völlige Ruhe“ (KTB PzAOK 1, NARA T-313 Roll 62 Frame 7297739)