17. Juli 1943

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English

Sowjetische Sommeroffensive 1943

GEO INFO
Gruschewacha Karte — map
Welikaja Kamischewacha Karte — map
Barabaschewka oder Garaschewka Karte — map Karte — map

17.7.43, morgens 3 Uhr. An der Front setzt schlagartig ein rollendes Donnern ein. Ich horche auf, denn das klingt anders als die üblichen Artilleriefeuerüberfälle. Es zieht sich an der ganzen Front entlang und ist ein pausenloses rumpelndes Grollen. Das ist kein Feuerüberfall und kein örtliches Artillerie-Duell. Das ist massiertes Feuer aller Kaliber auf breiter Front. Das ist der Auftakt zu einem Großangriff.

Die große sowjetische Donezoffensive, ••• S. 141 •••die große russische Sommeroffensive 1943 hat begonnen. Daher also der forcierte Stellungsbau mit einem ganzen Bataillon. Man hat also mit der Offensive gerechnet. Eben brausen drei russische Schlachtflieger über uns hinweg.

So ähnlich könnte der Lkw-Transport der Soldaten ausgesehen haben.

Es dauert keine zwei Stunden, da ist der Einsatzbefehl für uns da. Wir sollen mit Lkws eilig an die Front ostwärts Petrowskaja geworfen werden. Hier ist der Russe über den Donez gekommen und in unsere Stellungen eingebrochen. Ich habe meine wenigen Habseligkeiten schnell zusammengepackt. Nun warten wir auf die Lkws. Der Bataillonsführer[1] ist schon vorausgefahren, und ich soll die Kompanien nachführen. Gegen Mittag kommen die Lkws angerattert. Die Soldaten klettern gruppenweise auf die Wagen, ich steige zum Fahrer ins Führerhaus, und dann rollt die Wagenkolonne in Fliegermarschtiefe in Richtung Petrowskaja davon.

Im Ort ist Ruhe. Wir sind etwas dichter aufgefahren, unser Vordermann fährt dichter an den Straßenrand. Plötzlich rutscht der vollbesetzte Wagen mit den Vorderrädern in den Straßengraben, neigt sich langsam zur Seite und kippt um. Die Kolonne stoppt. Ich laufe zu dem umgestürzten Wagen. Die Männer sind mit dem Schrecken davon gekommen. Nur einer liegt stöhnend am Boden. Ich lasse ihn ins Lazarett abtransportieren, während die Männer darangehen, dem Lkw wieder flott zu machen.

In der Donez-Schleife bei Isjum hatten sowjetische Pioniere innerhalb einer Nacht sieben solcher Unterwasserstege gebaut. Sie lagen z. T. dicht unter der Wasseroberfläche und waren von Land aus nicht zu sehen.[2]

Währenddessen unterhalte ich mich mit einem Artillerie-Offizier, dessen Batterie unweit unserer Unfallstelle in den Gärten steht. Er berichtet, dass die Artillerie auf beiden Seiten eine Feuerpause macht. Hier vor unserem Frontabschnitt hat der Russe noch keine Erfolge. Er bestätigt meine Vermutung, dass es sich um eine großangelegte Offensive handelt, die die Sowjets an der ganzen Donezfront eingeleitet haben. Allerdings seien die Offensivpläne bekannt gewesen. Unsere Luftaufklärung hatte z. B. in der Donezschleife bei Isjum sieben Unterwasserbrücken erkannt, die die Russen innerhalb einer einzigen Nacht gebaut hatten. Diese Laufstege für Infanteristen liegen dicht unter der Wasseroberfläche und sind von Land aus fast nicht zu sehen. Eine Meisterleistung sowjetischer Pioniere!

Inzwischen haben wir mit Hilfe der Artilleristen unseren Lkw aus dem Graben gezogen, steigen wieder auf und setzen die Fahrt fort. In großem Bogen umgehen wir die freie Ebene ostwärts Petrowskaja und erreichen dann von Süden her den Ort, in dem unser Divisionsgefechtsstand liegt (Gruschewacha oder Bolschaja Kamischewacha[3]). Wir durchfahren den Ort und rollen dann vorsichtig so weit an den Dorfausgang heran, dass wir vom Russen nicht gesehen werden. Hier warte ich auf weitere Order. Inzwischen ist es Nachmittag. Da erscheint ein Offizier und gibt mir Anweisung, bis zum nächsten Dorf weiterzufahren. Dort würden wir dann eingewiesen. Nun prescht die Wagenkolonne los und saust über die Straße, die durch offene Landschaft führt, der Front entgegen. Vor uns taucht Welikaja Kamischewacha auf. Ich sitze vorn im ersten Wagen. Als wir den Ortseingang erreicht haben, werde ich von einem Offizier empfangen, der winkend auf der Straße steht. Ich lasse die Kolonne halten, steige aus und begrüße den Hauptmann, der sich als Einweiser vorstellt. Er gibt mir eine kurze Lageschilderung: Im Schutz der Feuerglocke seiner Artillerie ist der Russe über den Donez gekommen, hat unsere vordere Linie durchstoßen und einen kleinen Brückenkopf gebildet. Der Einbruch ist etwa zwei Kilometer breit und einen Kilometer tief. Nun soll unser Bataillon im Gegenangriff den Russen wieder über den Donez zurückwerfen.

Ich fahre mit der Kolonne ins Dorf, wo wir noch einmal halten müssen. Das Dorf wimmelt von Soldaten. Auf der Straße stehen lange Fahrzeugkolonnen, Munitionsstaffeln und Nachschub aller Art. Fahrer hantieren am Geschirr ihrer stämmigen Zugpferde, Kradmelder schlängeln sich durch das Gewimmel, Soldaten laufen hin und her, andere stehen wartend herum, und über allem liegt der Lärm eines aufgeschreckten, zum Kampf rüstenden Kriegshaufens. Die russischen Zivilisten stehen in ihren Haustüren und sehen diesem Treiben unruhig zu. Wieder einmal droht die Kriegsfurie ihr Dorf zu überrollen.

Ich habe neue Befehle bekommen und setze die Wagenkolonne wieder in Marsch. In den späten Nachmittagsstunden erreichen wir unseren Bestimmungsort (Baraschewka?[4]) Hierher war der Bataillonsführer vorausgefahren. Das kleine Dorf liegt hinter einem gewaltigen, weiten, gewölbten Höhenzug, der uns von der Front trennt. Wie ein riesenhafter, langgestreckter Buckel liegt er schützend vor dem Dorf. Hinter diesem Höhenzug tobt die Schlacht.

Ich melde dem Bataillonsführer die Ankunft der Wagenkolonne und gehe dann in ••• S. 142 •••eines der Häuser, in denen wir alle unsere Rucksäcke ablegen. Ich setze mich hin, um erst einmal etwas zu essen, denn ich habe seit heute Morgen noch nichts im Magen. Während ich kaue, höre ich draußen den Donner der Geschütze . Durch das Fenster kann ich die Höhe sehen, auf der schwarze Rauch- und Erdfontänen hochspritzen. Auf der Höhe liegt Störfeuer.

Ich werde zur Einsatzbesprechung gerufen. Wir versammeln uns im Haus des Bataillonsführers und hören uns den Kampfauftrag des Bataillons an. Dann werden die Befehle für die Kompanien ausgegeben. Ich übernehme den Granatwerferzug. Bei Einbruch der Dunkelheit soll das Bataillon den Höhenzug überschreiten und jenseits davon in Bereitstellung gehen. Im Morgengrauen wird es dann zum Gegenangriff antreten.

Es wird dunkel. Der erste Tag der Schlacht geht zuende. Aber noch einmal schwillt das Grollen der Geschütze an. Der Feind will den Nachschub zerschlagen, von dem er weiß, dass er jetzt an die Front rollt. Ich gehe vor das Haus und blicke zu der Höhe hinauf. In der fahlen Dunkelheit liegt dieser mächtige Höhenzug vor mir, und auf seinem Rücken tanzt ein Inferno von Feuer und Rauch. Der dunkle Himmel zuckt und flammt von den glutroten Blitzen der krepierenden Granaten. Die rollenden Einschläge lassen die Luft vibrieren. Schwarze Rauchwolken quellen haushoch und drohend empor, den dunklen Himmel vollends verfinsternd. 12-cm-Granatwerfer decken die ganze weite Fläche des breiten Höhenrückens ab. Es ist mindestens ein Werferregiment, wenn nicht gar eine ganze Division, die ihre Granaten auf die Höhe schmettern. Feuer, Rauch und spritzende Erde quirlen in der Luft, und die Erde zittert unter diesem gigantischen Flächenbrand. Beklemmung legt sich auf unsere Herzen. Durch dieses Feuer kommt niemand lebend hindurch. Und da müssen wir hinauf! Durch eine Wand von Feuer und schwarzem Rauch! Da ist schon das Kommando: „Bataillon fertigmachen!“ Es ist soweit. Wir treten an, und dann bewegen sich die Kompanien langsam den Hang hinauf. Herrgott, sie können doch nicht pausenlos so weiter trommeln. Lass sie aufhören!

Und wir haben wirklich Glück. Während wir die Höhe hinaufsteigen, lässt das Feuer nach, und als wir die Höhe erreichen, hat der Russe den Beschuss eingestellt. Nur ein brennendes Haus lodert als Fanal zum Himmel und erhellt die nachtschwarze Umgebung mit flammend rotem Licht. Vor uns taucht plötzlich eine Gestalt aus dem Dunkel. Es ist ein Hauptmann, der uns in die Stellungen führen soll. Er gibt uns schnell noch einen Lagebericht: Der Russe hat im Laufe des Tages vier Panzer über den Donez gebracht. Möglicherweise setzt er während der Nacht noch mehr über, so dass wir morgen ••• S. 143 •••mit einem Panzerangriff rechnen müssen. Die Lage ist etwas unklar. Auch der Verlauf der Front ist im Augenblick nicht genau bekannt. Wir müssen uns also vorsichtig an die Frontlinie heranpirschen, bis wir auf eigene Leute stoßen.

Das Bataillon entfaltet sich und geht nun in breiter Front tastend durch die Dunkelheit vorwärts. Wir sind bereits den Vorderhang hinabgestiegen und haben den Fuß des Hanges erreicht. Nun geht es weiter in flachem Gelände, und dann stoßen wir auf die ersten Stellungen unserer dünnen, stellenweise abgerissenen Verteidigungslinie. Ich stehe oben am Grabenrand, während unten ein paar Pioniere hocken, die uns mit einem Schnaufer der Erleichterung empfangen. Ablösung! Mit sieben Mann haben sie – wie sie sagen – den ganzen Kompanieabschnitt gehalten. Wir besetzen denselben Abschnitt mit 40 Mann. Außerdem gehe ich hundert Meter hinter dieser Linie mit meinen Granatwerfern in Stellung. Oben auf der Höhe fährt inzwischen unsere Pak auf, die dort einen dritten Abwehrriegel aufbaut. Iwan wird morgen auf harte Abwehr stoßen. Wir sollen ihn ja sogar über den Fluss zurückwerfen.


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  1. Engel (Benary S. 212)
  2. Foto: S. Fridlyand
  3. Bolschaja Kamischewacha ist weder auf alten noch auf neuen Karten zu finden. Da der Name das gleiche bedeutet wie Welikaja Kamischewacha, mit dem er aber nicht identisch sein kann, liegt eine Verwechslung nahe oder eine ortsübliche Namensgebung.
  4. Baraschewka, vom Autor richtigerweise mit einem Fragezeichen versehen, gibt es nicht, jedoch ein Barabaschewka und ein Garaschewka.