5. Februar 1949

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

January February March April May June July August September October November December Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

Deutsch
GEO INFO
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5 Feb 49[1]. My hunger diet starts to work: 123 pounds (61.5 kg). I am written K3 and only need to work 6 hours a day. I always ate my daily soups, but I sold the more nutritious bread or saved it until Sunday. Then I roasted it on the stove and ate it as bread soup with the sugar I had also saved. It is not without danger, because if the Russian finds out about it, I will be punished for self-mutilation. The fellow officers in the squad room all know about it, of course, but even they are not all trustworthy any more. Nevertheless, they admire my steely consistency as I sit starving next to them while they eat their meals.

There is a communist in the Antifa who is working hard to obtain Soviet citizenship. But the Russian has no interest in such creatures and gives him the cold shoulder.

I work in the carpentry shop. It's a big hut with all kinds of woodworking machines, circular saws, planing machines and the like. We are currently building prefabricated parts for barracks. The individual parts consist of 2 x 3 metre panels. They are double-walled and the cavity between the two walls is filled with sawdust. The only big disadvantage is that the boards from which the panels are made are still made of fresh wood. They are cut from the logs that we felled in the forest just a week ago. When we hammer in the nails, the water splashes out with the last hammer blows. Later, when the boards have dried out, there will be finger-thick cracks from which the sawdust will trickle out and then the wind will whistle through.

An den Maschinen sind keinerlei Schutzvorrichtungen. Kürzlich stand ich in einem Teil der Baracke, als plötzlich ein Holzklotz von Schuhgröße an meinem Kopf vorbeizischte. Er war von einer Kreissäge geschleudert worden, die in der anderen Hälfte der Baracke steht.

Heute schneiden wir „Drankis“[2]. Das sind ganz dünne, schmale Leisten, die als Unterlage beim Verputzen von Wänden benutzt werden. Sie werden kreuzweise zusammengenagelt und bilden dann an den Wänden ein netzartiges Geflecht, auf das dann der Putz geworfen wird. Mir macht das Schneiden Spaß, man muss nur aufpassen, dass man mit der Hand nicht zu nah an die ungeschützte Kreissäge kommt.

Der eiserne Kanonenofen in der Baracke spendet angenehme Wärme. Die Landser stopfen ihn oft mit dem reichlich vorhandenen Holzabfall derart voll, dass das Rohr fast zu glühen anfängt. Als der Natschalnik das sieht, fällt er fast in Ohnmacht. Er schnappt sich einen Eimer voll Wasser und kippt ihn mit Schwung in den glühheißen Ofen, dass er unter grollendem Puffen beinahe explodiert wäre.

Die Männer in der Wäscherei unterhalten sich öfter mit unserer russischen Dolmetscherin, einem sehr hübschen, hellblonden, blauäugigen Mädchen. Sie spricht akzentfreies Deutsch. Die Wäscher erzählen ihr unter anderem, dass sie zu Hause mehrere Anzüge besäßen. Zum Schluss fragt die Dolmetscherin: Und wozu sind mehrere Anzüge notwendig?

Ich soll auf der Rampe mit meiner Brigade eine große Grube ausheben. Es soll ein Erdbunker für Benzinfässer in der Nähe der Elektrostanzia werden. Wir sind schon 2 m tief in der Erde, aber die Arbeit ist mühsam, weil der lose Sandboden immer wieder nachrutscht. Der dicke jüdische Obernatschalnik tobt, weil es ihm nicht schnell genug geht. Dann greift er zu der üblichen Methode: Er lässt mich als den verantwortlichen Brigadier festnehmen und beschuldigt mich der Sabotage. Um es möglichst wirkungsvoll zu machen, veranstaltet er einen großen Theaterrummel. Er lässt die gesamte Rampenbelegschaft von über 100 Mann antreten, stellt mich zwischen 2 Wachposten vor die Front, schreit etwas von Sabotage und Verhaftung und lässt mich dann von einem Posten ins Lager abführen. Inzwischen hatte er den sowjetischen Lagerkommandanten benachrichtigt, und als ich bei der Torwache ankam, saß dieser schon im Wachlokal. In seiner Begleitung sein Adjutant und seine Frau, die mich die ganze Zeit über mit neugierigen Blicken betrachtete. Für sie war es sicher ein spannender Augenblick, denn sie hatte sicher noch keinen Saboteur aus der Nähe gesehen. Als ich sie beim Eintreten erblickte, fiel mir sofort ein, dass ich nicht rasiert war.[3] Und so bot ich ihr zwar leider keinen hinreißenden, aber sicher einen unvergesslichen Anblick:[4] ein Saboteur mit verfrorenem Gesicht und Stoppelbart.

Das Verhör dauerte nicht lange. Der deutsche „Dolmetscher“, ein Genosse vom Lageradel, konnte nicht viel russisch, aber er übersetzte alles sinngemäß richtig. Soviel verstand ich wohl. Es gab auch nicht viel zu erklären: In den losen Sandboden konnte man keine 2 m tiefen Steilwände graben, ohne dass der Sand nachrutschte. Das schien auch dem Kommandanten glaubwürdig. Er war ruhig, sachlich und nicht unfreundlich. Er sprach wenig und hörte sich meist alles nur an. Er ist übrigens auch Jude. Nach Beendigung des Verhörs drohte er mir fast väterlich mit mahnend erhobenem Finger. Dann wurde ich ins Lager gebracht.

Ich kam für 3 Tage zu Günter Heuers Waldkommando, damit ich dem Oberbonzen auf der Rampe aus den Augen war. Nach 3 Tagen kam ich wieder auf die Rampe zurück, und damit war der Fall erledigt.

Der Bruder dieses Mistkerls von Obernatschalnik ist sehr viel netter. Zu ihm habe ich ein fast freundschaftliches Verhältnis. Er ist der Magazinverwalter der Rampe, und wenn mal eine besondere Sendung, z. B. Zucker, angekommen war, hielt er oft etwas für mich zurück.

Schon vor dem Eintreffen einer Warensendung erkennt man, ob es sich um gewöhnliche oder seltene Produkte handelt. Je kostbarer die Lieferung, umso größer ist die Zahl der Natschalniks und anderer Leute, die vor dem Magazin herumstehen. Sie wollen sich einen möglichst großen Anteil sichern, bevor der eigentliche Verkauf beginnt.

Bei den Magazinverwalter habe ich auch schon mehrmals kleinere Geldscheine in 100-Rubelnoten umgetauscht. Er fragte mich mal, warum ich das tue. Ich erwiderte: Sparen für schlechte Zeiten. – Einmal bin ich mit ihm mit dem Lkw in die Stadt gefahren, um Besorgungen zu machen. Wir standen am Bürgersteig, als ein Mädchen vorbeikam. Da machte er mit den Händen eine eindeutige Bewegung, aber als er sah, dass das Mädchen es zu bemerken schien, war er sehr verlegen. Er ist ein anständiger Kerl, trotzdem. – Im Garten eines nahen Hauses klopft eine Frau Teppiche. Es war die Frau eines Majors.

Wir arbeiten auf der Rampe. Dabei machten wir den Posten irgendetwas nicht recht. Im Grunde haben die Posten uns nur zu bewachen, aber dieser meckerte und bölkte dauernd herum, bis ich ihm ärgerlich zurief: „Mensch, schrei nicht so viel!“ Da fuhr er auf mich los und brüllt: „was, du sagen ‚Schwein‘ zu mir!!?“ Er schlägt mir den Gewehrkolben vor die Brust und ist stinkwütend. Statt „schrei nicht“ hat er „Schwein“ verstanden. Es war ein Missverständnis, die aber manchmal tödlich enden können.

Püffe und Schläge gibt es öfter. Vor allem ein Natschalnik auf der Rampe schlägt häufiger mal zu. Auch das ist verboten. Gefangene dürfen nicht geschlagen werden.

Im Lager gibt es jetzt Vernehmungen am laufenden Band. Jeden zweiten Abend wird einer von uns Offizieren zum Politruk geholt. Ich schreibe schon vorher meinen militärischen Werdegang nieder, denn den wollen sie hören. Eines Abends bin auch ich dann an der Reihe. Der Politruk liest meinen Lebenslauf. Natürlich glaubt er kein Wort, und nachdem er alles gelesen hatte, reißt er das Blatt langsam und eindrucksvoll vor meinen Augen entzwei. Ich muss sofort einen neuen schreiben, und die hübsche Dolmetscherin faucht mich unfreundlich an: „Aber schreiben Sie deutlich, sie können es nämlich!“ Sie erinnert sich also an meine winzige, aber sehr deutliche Blockschrift auf den RK-Postkarten. – Über die Ergebnisse der Verhöre erfahren wir nie etwas. Nur geschieht es dann, dass eines Nachts plötzlich einer von der Pritsche geholt wird und verschwindet.

Jeden Morgen und Abend ist Lagerappell. Da muss die ganze Lagerbelegschaft antreten und wird gezählt. Eines Tages war ein Landser in kurzen Hosen angetreten. Der russische Unterleutnant fragt ihn unwillig, ob er jemals einen Soldaten in kurzen Hosen gesehen habe. „Doch,“ sagt der Landser, „bei unserem Afrika-Korps!“ Alles lacht, und der Russe schweigt betreten.

Älteres Beton-Hochhaus... (yandex.ru 2020)
... nahe der Eisenbahn (yandex.ru 2012)

Für einige Tage sind wir mit Nebenarbeiten in einem Beton-Hochhaus beschäftigt, dass im Rohbau fertig ist und angeblich von einem deutschen Ingenieur gebaut sein soll. Von den oberen Stockwerken hat man einen weiten Blick über das dunkelgrüne Land. Im Norden erkennt man das helle Band der Rollbahn Minsk–Moskau, die dem Vernehmen nach die Deutschen ausgebaut haben, im Krieg. Dicht unter uns das schmale Band der Bahnlinie Moskau–Berlin.

Unser Lager liegt direkt an der Autobahn Minsk–Moskau. Fast gegenüber unserem Lagertor liegt die Einfahrt zu einem Truppenübungsplatz auf der anderen Straßenseite. Wir sehen hier oft die sowjetischen Panzer in dem weiten Gelände herumkurven, im Sommer in dicke, gelbe Staubwolken gehüllt. Neben der Einfahrt zum Truppenübungsplatz steht ein kleines Häuschen, das als Magazin dient. Hier kaufen die Rotarmisten, die Familien der Offiziere und Wachmannschaften unseres Lagers, Leute, die in der Nähe wohnen und auch wir selbst. Wir brauchen ja nur schräg über die Straße zu gehen. Die Magazinverwalterin ist – natürlich – eine Jüdin. Sie wohnte früher in Deutschland und ist sehr freundlich. Als ich eines Tages den Laden betrat, war er sehr voll. Die Frau ließ mich aber nicht warten, sondern reichte mir mein Kleb[5] (Brot) über die Köpfe der Wartenden hinweg nach hinten. Es hat sich niemand beschwert.

Ich bin wieder mal Holzfäller. Der Wald ist herrlich im Frühjahr. Das frische Grün der Birken und die jungen Triebe der Fichten bringen freundliche, hellgrüne Farben in den Wald. Es wird auch schon warm. Wir schlagen Nägel in die Birkenstämme, in denen jetzt der Saft aufzusteigen beginnt. Das Wasser, das aus der kleinen Wunde quillt, fangen wir in Blechbüchsen auf, die wir unter die eingeschlagene Nägel gehängt haben. Wenn sie voll sind, trinken wir sie aus. Wir glauben, dass es gesund ist und den Durst löscht.

Schon seit längerer Zeit bin ich wieder Verpflegungsteiler. Immer noch verfolgen mich die argwöhnischen Blicke, wenn ich die Schöpfkelle im Essenkübel herumrühre und die Kochgeschirre fülle. Aber ich rühre gründlich um, so dass auch jeder von dem dickeren Brei am Grund des Kessels bekommt und nicht nur die Wassersuppe an der Oberfläche. Ich nehme mir auch keinen Tropfen mehr, als ich den andern gebe. Ich bin nicht verfressen und komme mit wenig aus. Vielleicht bin ich ein guter „Futterverwerter“. Sogar Werner Gräser ist mit mir zufrieden. Zu ihm hatte ich lange Zeit ein etwas gespanntes Verhältnis, seit ich ihm in Smolensk als sein Brigadier öfter wegen seiner schlechten Arbeitsleistung weniger Prozente als den anderen Kameraden angeschrieben habe.

Mit den Prozenten war das so: Der Brigadier schrieb jedem einzelnen Mitglied seiner Brigade gesonderte Prozente, je nach Arbeitsleistung. Er hatte dabei einen gewissen Ermessensspielraum. So konnte er z. B. dem einen 80% anschreiben, während der einem besseren Arbeiter dann 120% schrieb, um auf 100% zu kommen, falls dies möglich war. Maßstab blieb dabei aber immer die Tagesnorm, d. h. die Arbeitsleistung, die die Brigade erreichen musste. Hatte die Brigade an einem Tag nur 70% ihres Solls erreicht, konnte der Brigadier die Prozente auch nur im Rahmen dieser 70% verteilen.

Meine Brigade hat jetzt ein sehr angenehmes Kommando: Spätschicht auf der Rampe, von 14–22 Uhr. Wir können morgens lange schlafen oder wenigstens liegen bleiben, wenn die anderen Brigaden zur Arbeit müssen. Wir frühstücken in aller Ruhe und gehen erst nach dem Mittagessen hinaus. Und wenn wir abends kurz nach 22 Uhr zurückkommen, sind viele Kameraden noch nicht einmal zu Bett gegangen. Es fällt auch wenig Arbeit an. Nachmittags kommen nicht mehr viele Lkw aus dem Wald, und nach 17 Uhr fast gar keine mehr. Die russischen Fahrer machen auch gern pünktlich Schluss, oft sogar reichlich früh. Da auch die übrigen Rampenkommandos, die seit dem Morgen hier arbeiten, um 17 Uhr ins Lager zurückgehen, sind wir von da an bis 22 Uhr allein auf dem Platz. Es lässt sich dann auch kein Natschalnik mehr sehen. Unsere einzige Arbeit besteht darin, die aus dem Wald kommenden Lkws zu entladen. Sie bringen fast nur 2-m-Stämme. Die Lkws sind fast alle amerikanische Studebaker, 4–5-Tonner.

Das mühsamste ist für mich immer der Schichtbeginn. Ich bin ja vom Hunger noch ziemlich entkräftet (ich habe es inzwischen als aussichtslos aufgegeben. Ich werde doch nicht früher entlassen). Und wenn ich dann, noch gleich nach dem Mittagessen, auf den ersten Lkw klettere, bin ich matt und schlapp, so dass ich Mühe habe hinaufzukommen. Im Laufe des Nachmittags vergeht die Schwäche dann. Es kommen auch nicht mehr viele Wagen und zwischendurch sind lange Pausen.

Die Fahrer sind manchmal leicht angetrunken, und dann sagen sie im Gespräch Dinge, die sie in nüchternem Zustand sicher nicht aussprechen würden. Einmal kamen wir im Gespräch auf die Juden. Sie sind ja auch in Russland nicht beliebt, und der Fahrer meinte, wir hätten noch viel zu wenig umgebracht. Es ist nicht das erste Mal, dass wir solche und ähnliche Bemerkungen hören. Es ist begreiflich. Die intelligenten und geschäftstüchtigen Juden sitzen auch hier in Russland überall in Schlüsselpositionen. Ich sehe es in meiner Umgebung. Die weitaus meisten Magazinverwalter sind Juden, und angesichts der chronischen Lebensmittelknappheit in der Sowjetunion sitzen sie also in einer Schlüsselposition. Viele Politkommissare sind Juden. Dank ihrer Deutschkenntnisse sind sie auch an vielen anderen Stellen unentbehrlich. Musterbeispiel ist unsere Rampe. Die beiden wichtigsten Posten haben Juden inne: Der Obernatschalnik und der Magazinverwalter. Die Judenpogrome machen es deutlich, dass sie hier wie auch anderswo unbeliebt sind. Sie erleiden hier dasselbe Schicksal, wie die geschäftstüchtigen Inder in vielen afrikanischen Ländern. Und wahrscheinlich auch aus demselben Grund.

Es ist nach 17 Uhr. Unsere Brigade ist allein auf der Rampe. Kein Lkw mehr. Wir sitzen in einem kleinen Blockhäuschen. Der Platz reicht gerade für uns 8 Mann. Die Bude steht dicht am Zaun. Ein russischer Zivilist hat sich zu uns gesellt. Er steht zwar etwas unter Alkohol, aber das tut der fröhlichen Unterhaltung keinen Abbruch. Schließlich erhebt sich der Russe und verabschiedet sich munter, um dann zu gehen. In der Tür dreht er sich plötzlich um und blickt uns mit grimmiger Wut an. Er stürzt sich auf uns und beginnt, wütend auf uns einzuschlagen. Durch den Lärm angelockt, eilt der Posten herbei, packt den Iwan, stößt ihn zur Tür hinaus und jagt in vom Platz. Während wir den unverständlichen Zwischenfall noch besprechen, erscheint der Betrunkene draußen am Zaun. Er ist völlig zerknirscht und bittet uns mit gefalteten Händen: „Kamerati! Wieder gut?“ Wir winken ab, aber er hebt bittend die Hände. Dann zieht er sein Portemonnaie aus der Tasche und will es uns durch den Zaun reichen. Wir sollen uns das Geld teilen. Aber wir bedeuten ihm, dass er verschwinden soll.

Solche Szenen habe ich wiederholt erlebt. Eben noch lachend, schlägt der Russe sekundenschnell in Zorn um, und umgekehrt. Die russische Seele wird uns immer unbegreiflich bleiben.

Nach 18 Uhr kommt nie mehr ein Fahrzeug, und wir haben herrlich ruhige Abende auf dem Platz. Bis 22 Uhr haben wir nichts mehr zu tun. Auch die Posten lassen sich nie sehen. Wir sitzen dann zusammen in einer anderen kleinen Bude, genießen die abendliche Stille und unterhalten uns über alles, was uns bewegt. Wir sprechen von der Heimat, den Heimkehraussichten, unseren Familien, unserem Beruf. Wir sprechen über den Sinn des Lebens und über religiöse Fragen. Über uns funkeln die klaren Sterne am nachtblauen Himmel. Rolf Hillebrand, Meteorologe, zeigt uns den deutlich sichtbaren Erdschatten am dunklen Nachthimmel. Es sind wunderbare Abende. Wir sind fast heiter und zufrieden. – Natürlich haben wir auch bei früheren Gelegenheiten gelacht. Wir haben nicht selten gelacht. Es gab genug komische Situationen und auch sonst erträgliche Zeiten. Ich habe dann immer an Carola denken müssen, die sich vielleicht gerade Sorgen um mich macht, während ich hier lache.

Herrlich war auch immer das abendliche Duschbad, dass wir nach Feierabend genossen. Wenn wir um 22 Uhr ins Lager zurückkamen, gingen wir in den Waschraum im Gebäude der Lagerwäscherei, wo die Wäscher immer warmes Wasser für uns bereithielten. Dann seiften wir uns gegenseitig ein, plantschten und spülten uns ab, indem wir ganze Kübel mit warmem Wasser über Kopf und Körper gossen.


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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

January February March April May June July August September October November December Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

  1. in the original erraneously 48
  2. дранка ist ein Putzträger, bedeutet aber auch Dachschindel
  3. Auch später rasierte er sich nur ungern!
  4. Das muss ihm bei seiner sonst nicht unbeachtlichen Wirkung auf Frauen besonders peinlich gewesen sein!
  5. Хлеб, wohl als „Kleb“ verstanden, aber besser als „Chleb“ zu transskribieren