14. Oktober 1949
14.10.49 Früh um 3 Uhr stehen wir auf dem Hauptbahnhof von Frankfurt/Oder. Es sind schon erstaunlich viele Menschen unterwegs. Viel russisches Militär. Und dann geht es ab in einem der alten, vertrauten Vorortzüge mit Dampflok. Auf der Durchfahrt durch Friedrichshagen erhasche ich schon von der Bahnbrücke einen kurzen Blick auf die Hauptstraße und den Bahnhof. Altvertraute Anblicke. Der Zug fährt durch bis zum Schlesischen Bahnhof. Deshalb muss ich mit der S-Bahn wieder zurück nach Friedrichshagen. Unten am Bahnhof steige ich in die Straßenbahn. Mit meiner Wattejacke und der aus einer Wolldecke gefertigten Hose bin ich als Russlandheimkehrer unübersehbar, aber die Leute nehmen keine Notiz von mir. Ich steige vorn zum Schaffner auf und frage, ob Heimkehrer umsonst fahren dürfen. Er wendet kaum den Kopf und antwortet muffelig: "Wenn es stimmt..." (dass ich Heimkehrer bin). Die Bevölkerung ist auffallend unzugänglich, fast verbittert.
An der Ecke Müggelseedamm ist eine Haltestelle. Die Bahn will gerade wieder anfahren, als ich meinen Vater um die Ecke kommen sehe. Ich rufe ihn an und steige schnell noch ab. Das Gesicht meines Vaters bleibt fast unbewegt. Unsere Begrüßung ist kurz und ohne äußere Zeichen von Rührung. Nur ein kurzer Händedruck, als hätten wir uns heute schon gesehen. Das ist typisch Schröder. Wir haben nie an einem Überschwang der Gefühle gelitten.
Meine Eltern hatten das Telegramm um 8.30 Uhr erhalten, und mein Vater war sofort losgegangen, um etwas einzukaufen. Dazu kam er nun nicht mehr, denn wir machten kehrt und gingen gemeinsam nach Hause. Um 9 Uhr früh betrat ich das Haus. Ich war nach 5-jähriger Abwesenheit heimgekehrt.
Ich wollte drei Tage bei meinen Eltern bleiben und dann zu Carola nach Warendorf/Westfalen weiterfahren. Eigentlich wollte ich dort überraschend eintreffen, aber mein Vater ging sofort zur Post, um Carola von meiner Heimkehr telegrafisch zu unterrichten. Inzwischen packte ich zu Hause die Schmalzflaschen aus, die meine Mutter mit Freude in Empfang nahm, denn die Verpflegung in Berlin war schlecht.
Ich war gleich wieder eingelebt und hatte kaum das Gefühl, so lange abwesend gewesen zu sein. Zwar waren etliche Fenster noch mit Pappe vernagelt und eine Zimmerwand, die ein Bombenangriff zerstört hatte, durch eine Pappwand ersetzt, aber sonst war in der Wohnung alles, wie früher.