30. Januar 1944

Aus Westmärker Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Kapitel‑Finder

Kalendernavigation ab 1944 -04-16.jpg

Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English
GEO & MIL INFO
Nikopol Karte — map
Kriwoi Rog Karte — map
Stellung bei Wesselyi Kut Karte — map
LVII. Pz.K.[1]
KG: Gen d PzTr von EsebeckWP

Ch d St: O LaegelerWP

Bahnhof Nikopol – kurze Zeit später wurde dieses Gebäude bei der Befreiung durch die Rote Armee zerstört[2]

Am Bahnhof Nikopol stehen drei langgestreckte, einstöckige Backsteinhäuser, in denen unsere Kompanien übernachten. Am nächsten Morgen beginne ich, die Verladung vorzubereiten und betrete die Bahnhofshalle. Da fällt mein Blick auf ein großes Plakat an der Wand: „Am .. wurden .. erschossen, weil sie sich nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub einen Tag unerlaubt in Nikopol aufgehalten haben ... gez. Schörner.“ Das ist eine deutliche Warnung. Typisch Schörner. Hoffentlich kann Schörner, wenn er einmal vor dem Herrgott steht, alle Erschießungen verantworten, die er befohlen hat. (Anm.: Schörner ist nach dem Krieg vor Gericht gestellt worden. Man hat ihm nur eine juristisch anfechtbare Erschießung nachweisen können.)[3]

Die Waggons sind da. Die Kompanien treten zwischen den Häusern an. Es ist doch ein schönes Bild, wenn man diese kriegerischen Gestalten mit Stahlhelm und Gewehr in Reihe und Glied stehen sieht. Helm an Helm stehen sie da, die Soldaten meiner Kompanie, meine braven Kameraden. Was haben wir nicht alles gemeinsam ertragen an Hitze und Frost, Regen und Schnee, Hunger und Durst, Staub und schneidenden Wind, Trommelfeuer und Panzerkämpfe, Sturmangriffe und erbitterte Abwehr, schlaflose Nächte vor dem Feind. Und wir haben es alles ertragen, schweigend oder schimpfend, duldend und verbissen.

In größeren Abständen stehen die Kolonnen in der Nähe der Rampe, bei jedem Fahrzeug eine Gruppe von Männern. Reibungslos rollen die Fahrzeuge auf die Waggons, werden verkeilt und festgezurrt. Im Eiltempo verstauen die Männer ihre Geräte und ihr Gepäck. In 45 Minuten ist das ganze Bataillon verladen und fertig zur Abfahrt.

Straßenbahnschienen im Zentrum von Kriwoi Rog (Foto von 1941, Quelle)
Erzgruben bei Wetschernij Kut, nahe dem Marschweg des Bataillons (Quelle)
Karte des Eisenerzgebiets (Quelle)

Kriwoi Rog! Die Kolonne des Bataillons marschiert durch die gepflaster••• S. 176 •••ten Straßen der Stadt. Manche hatten Straßenbahnschienen. Dann schwenken wir ab und marschieren am Stadtrand entlang. Das Gelände steigt an, und nun sehen wir die Stadt etwas unter uns liegen. Über die Wohnhäuser hinaus erheben sich die Anlagen der Erzgruben und die rostroten Halden eisenhaltigen Gesteins. Kriwoi Rog ist wichtigstes Eisenerzgebiet des europäischen Russland.

Wir marschieren an einem Hauptverbandplatz vorbei, der in einer ehemaligen Schule untergebracht ist. Neben dem Gebäude ist der Friedhof angelegt. Ich sehe viele frische Gräber. Dieser Anblick ruft mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Über den vielen geographisch interessanten Eindrücken hatte ich den Krieg für einen Augenblick vergessen.

Auf der Höhe außerhalb der Stadt machen wir halt. Hier am Stadtrand sind die Wege wieder sandig, ungepflastert, und die Häuschen klein und bäuerlich. Ein Pkw erwartet uns bereits, um die Einweiser vorauszufahren. Wir sollen neue Stellungen bei Losowatka beziehen, einem Ort nördlich von Kriwoi Rog.[4]

Mein Bunker liegt in der Nähe des Bataillonsgefechtsstandes. Er ist niedrig und etwas eng, aber warm. Wenn ich mich von meiner Pritsche erhebe, stoße ich schon an den kleinen Tisch, der dicht am Bettrand auf einem Stempel steht. Da es hier in der Ecke etwas dunkel ist, habe ich meinen Spiegel so an dem Stützbalken befestigt, dass er das Licht von dem kleinen Fenster auf den Tisch reflektiert.

Der Regimentskommandeur fragt telefonisch an, ob meine Geräte alle in Ordnung sind. Ich berichte ihm, dass ich einen Apparat wieder zum Tross geschickt hätte, weil ich mit den übrigen auskäme. Der Apparat funktioniere nicht richtig. Haarhaus stutzt und fängt an, mir Vorwürfe zu machen. Nach längerem Hin- und Herreden meint er: „Also, Schrödter, ich verstehe Sie nicht. Sprechen Sie ohne Tarnnamen!“ Und da stellt sich heraus, dass er unter „Apparat“ meine Werfer gemeint hat, während ich meinen Feldfernsprecher im Sinn hatte. Er traut der Sache aber immer noch nicht und befiehlt mir, noch einmal eine mündliche Meldung über meine Einsatzbereitschaft zu machen. Wütend stiefele ich also mitten in der Nacht los, um in der schwarzen Dunkelheit meine Stellungen aufzusuchen. Meine vier Werferstellungen (ich habe nur noch vier Werfer, eigentlich müssten es sechs sein[5]) liegen alle in der Nähe des Bataillonsgefechtsstandes, wo auch der Regimentskommandeur zur Zeit einen Bunker bewohnt.[6] Die Feuerstellungen sind alle in Ordnung. Der Zugführer ist mit meinem Kompaniegefechtsstand durch eine Leitung verbunden. Außerdem hat er noch eine weitere Leitung zu einer der vier Feuerstellungen. Die anderen sind durch eine Ruferkette verbunden, die eine Verständigung sicherstellt. Nachdem ich alles noch einmal überprüft habe, und der Zugführer, Feldwebel Grodzicki, mir wiederholt versichert, dass alles einsatzbereit ist, gehe ich zum Bunker des Regimentskommandeurs, um meine Vollzugsmeldung zu machen. Aber der hohe Herr ist nicht zu sprechen. Die Meldung nimmt ein Feldwebel entgegen.

In Frontnähe wird im Telefonverkehr bekanntlich mit Decknamen gesprochen, um die Art der Waffen, der Befehlsstruktur usw. zu vertuschen. Sinnigerweise wurde bei der Wahl der Namen der Dienstrang berücksichtigt (was ja gerade vermieden werden sollte!). Der Kommandeur war der „Adler“, der kleine Kompanieführer der „Dreckspatz“ (Namen sind willkürlich gewählt). Da wird dann der Dreckspatz vom Kommandeur angepfiffen und antwortet: „Jawohl, Herr Adler! Zu Befehl, Herr Adler!“ Tolle Tarnung, was?[7]

Seit Beginn des Russlandfeldzuges ist Haarhaus mein Regimentskommandeur, aber unser gegenseitiges Verhältnis war immer sehr unpersönlich. Ich habe nie eine rechte Erklärung für sein hölzernes Gebaren gefunden. Unsere wenigen Gespräche waren immer kurz und trocken. War er gefühlskalt, hochmütig, arrogant, kontaktarm, unbeholfen, verklemmt? Ich weiß es nicht.[8] Vielleicht lag es auch einfach daran, dass ihm mein Naturell nicht gefiel. Ich bin ziemlich sicher, dass er mich nicht besonders gern mochte. Es ist nämlich auffallend, wie schnell bei mir Beförderung und weitere Kriegsauszeichnungen aufeinander folgten, seit ich – später – Haarhaus nicht mehr unterstellt war.


— nächstes Datum — next date →

Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

  1. Am 30.01.1944 gab es beim Korpsstab zumindest bereits eine „Besprechung mit Obl.Strahl, Div.Kf.Offz.257.Jnf.Div., über Kfz.-Lage der Division. Die Div. hat zahlreiche Schad-Kfz.“ (KTB LVII. Pz.K., NARA T-314 Roll 1495 Frame 000220) Evtl. wechselte die Unterstellung auch erst mit der Befehlsübernahme im neuen Divisionsabschnitt am 31. um 3 Uhr (KTB 6.A., NARA T-312 Roll 1492 Frame 000480).
  2. Ст. Никополь
  3. Er soll immer seinen Kriegsgerichtsrat bei sich gehabt haben.
  4. Am 30.01.1944 abends übernimmt III./477 seinen neuen Abschnitt, am 31. um 3 Uhr übernimmt 257. I.D. seinen gesamten Abschnitt (KTB AOK 6, NARA T-312 Roll 1492 Frame 000480); II./G.R.477, G.R.466 (000176) und II./A.R.257 fehlen noch
  5. Mit Stand vom 1.2.44 meldete 257. I.D. 6 m.Gr.W.34 in seiner Kompanie (KTB AOK 6, NARA T-312 Roll 1483 Frame 000375). Im Vormonat war das Fehl insgesamt größer (KTB AOK 6, NARA T-312 Roll 1484 Frame 000532), es gibt aber keine Zahlen für die einzelnen Kompanien.
  6. Das Regiment verfügte zu diesem Zeitpunkt nur über das III. Bataillon. Das II. Bataillon stand bei der 387. I.D.im Brückenkopf, ein I. Bataillon gab es zu dieser Zeit nicht.
  7. Der Herausgeber hat mehrere entsprechende Listen von Tarnnamen gesehen und kann diese Erzählung nicht bestätigen.
  8. Sein Sohn Peter Haarhaus hatte immer den Eindruck, „dass er sich verschloss, weil er die vielen Verluste an Menschenleben hasste. [...] Vielleicht wollte er Menschen nicht verlieren, mit denen er sich näher befreundet hätte.“ (Brief vom 16.11.1995)