1943/Mai/26: Unterschied zwischen den Versionen

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Ich habe den Eindruck, dass wir von den Russen intensiv beobachtet werden. Kürzlich war eine von den Schützenminen, die vor unseren Stellungen liegen, in der Nacht hoch gegangen. Als wir die Stelle am nächsten Morgen aufsuchten, fanden wir im hohen Gras eine Schleichspur, die in einem Gebüsch fünfzig Meter vor unseren Stellungen endete. Hier hatte also ein russischer Späher gelegen und aus nächster Nähe unseren Verkehr, die Lage unserer Stellungen, Feuerstellungen und Schützenlöcher, sowie die Stärke unserer Besatzung beobachtet.
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{{S|- „kürzlich“ und „am nächsten Morgen“ ergibt sich als 1943/Mai/23 und /24, aber die Rückschau auf „kürzlich“ findet logischerweise von einem späteren – und mangels weiterer Anhaltspunkte eben vom nächsten – Datum aus statt.}}Ich habe den Eindruck, dass wir von den Russen intensiv beobachtet werden. Kürzlich war eine von den Schützenminen, die vor unseren Stellungen liegen, in der Nacht hoch gegangen. Als wir die Stelle am nächsten Morgen aufsuchten, fanden wir im hohen Gras eine Schleichspur, die in einem Gebüsch fünfzig Meter vor unseren Stellungen endete. Hier hatte also ein russischer Späher gelegen und aus nächster Nähe unseren Verkehr, die Lage unserer Stellungen, Feuerstellungen und Schützenlöcher, sowie die Stärke unserer Besatzung beobachtet.
  
 
Ein Soldat kommt angesaust und meldet, dass sich Russen vor den Stellungen befinden. Ich laufe mit nach vorn, fasse eine Gruppe zusammen und stoße in den Wald vor, obgleich im Augenblick kein Russe mehr zu sehen war. Wir laufen über eine trockene Bodenwelle, durchwaten in langen Sprüngen einen schmalen, versumpften Bachgrund und gelangen wieder auf trockenen Boden. Hier steht lichter Kiefernwald. Der Boden ist von einer dicken Schicht trockener Äste bedeckt, die das Laufen erschweren. Aus dem Gewirr ragen einzelne Baumstümpfe heraus. Ich ducke mich hinter einen Baumstumpf, um einen Augen{{S|136}}blick zu beobachten. Da bewegt sich etwas! 25 Meter vor mir hockt ein Russe genau wie ich hinter einem Baumstumpf und guckt hervor. Er scheint mich nicht gesehen zu haben, denn er pendelt mit dem Kopf hin und her, als wenn er etwas genauer sehen möchte und nicht erkennen kann. Hätte er sich nicht bewegt, dann hätte ich ihn auch nicht erkannt. Wie ich mich aber zum Sprung etwas aufrichte, erkennt er mich durch meine Bewegung. Eine Sekunde lang sehen wir uns in die Augen, abwartend, mit größter Spannung. Dann schnelle ich vor und springe auf ihn zu. Da wendet er sich blitzschnell um, verliert bei dieser Bewegung seine Wattejacke und läuft wie ein Wiesel davon. Ich brülle: „Stoi, stoi!“<ref>{{gerade|Стой!}} oder {{gerade|Стои!}} Warte! Bleib (stehen)!</ref>, jage ihm im Laufen ein paar Feuerstöße aus meiner MPi nach, stolpere über dieses verdammte Astwerk – und sehe plötzlich 30 Meter links von mir ein ganzes Rudel erdbrauner Gestalten aufspringen und in geducktem Lauf davoneilen wie ein Rudel aufgescheuchter Rehe. Es waren mindestens zehn Mann. Die hätten mich ja spielend abknallen können, bevor sie fortliefen! Ich war meinen Männern im Eifer des Gefechts voraus geeilt, ohne darauf zu sehen, ob sie mir auch folgen. Zwar ist das eigentlich selbstverständlich, aber was heißt das schon. Sie müssen aber wohl dicht hinter mir gewesen und bei meinem Aufspringen auch mitgesprungen sein, denn ich kann mir nicht denken, dass der ganze Russenhaufen vor mir allein weggelaufen wäre. Wie sie laufen! Sie huschen durch das Unterholz. Ab und zu sieht man einen braunen Rücken auftauchen, aber gleich schlagen die Büsche wieder hinter ihm zusammen. Sie flitzen fast lautlos, sie sind schneller als wir. Ich gebe die Verfolgung auf, noch einmal sehen wir sie auf einer Schneise auftauchen. Sie blicken zurück, als ich mit meiner ganzen Gruppe auf dem Waldweg stehe und ihnen nachschaue. Da schießt einer noch einmal zurück, bevor sie endgültig verschwinden.  
 
Ein Soldat kommt angesaust und meldet, dass sich Russen vor den Stellungen befinden. Ich laufe mit nach vorn, fasse eine Gruppe zusammen und stoße in den Wald vor, obgleich im Augenblick kein Russe mehr zu sehen war. Wir laufen über eine trockene Bodenwelle, durchwaten in langen Sprüngen einen schmalen, versumpften Bachgrund und gelangen wieder auf trockenen Boden. Hier steht lichter Kiefernwald. Der Boden ist von einer dicken Schicht trockener Äste bedeckt, die das Laufen erschweren. Aus dem Gewirr ragen einzelne Baumstümpfe heraus. Ich ducke mich hinter einen Baumstumpf, um einen Augen{{S|136}}blick zu beobachten. Da bewegt sich etwas! 25 Meter vor mir hockt ein Russe genau wie ich hinter einem Baumstumpf und guckt hervor. Er scheint mich nicht gesehen zu haben, denn er pendelt mit dem Kopf hin und her, als wenn er etwas genauer sehen möchte und nicht erkennen kann. Hätte er sich nicht bewegt, dann hätte ich ihn auch nicht erkannt. Wie ich mich aber zum Sprung etwas aufrichte, erkennt er mich durch meine Bewegung. Eine Sekunde lang sehen wir uns in die Augen, abwartend, mit größter Spannung. Dann schnelle ich vor und springe auf ihn zu. Da wendet er sich blitzschnell um, verliert bei dieser Bewegung seine Wattejacke und läuft wie ein Wiesel davon. Ich brülle: „Stoi, stoi!“<ref>{{gerade|Стой!}} oder {{gerade|Стои!}} Warte! Bleib (stehen)!</ref>, jage ihm im Laufen ein paar Feuerstöße aus meiner MPi nach, stolpere über dieses verdammte Astwerk – und sehe plötzlich 30 Meter links von mir ein ganzes Rudel erdbrauner Gestalten aufspringen und in geducktem Lauf davoneilen wie ein Rudel aufgescheuchter Rehe. Es waren mindestens zehn Mann. Die hätten mich ja spielend abknallen können, bevor sie fortliefen! Ich war meinen Männern im Eifer des Gefechts voraus geeilt, ohne darauf zu sehen, ob sie mir auch folgen. Zwar ist das eigentlich selbstverständlich, aber was heißt das schon. Sie müssen aber wohl dicht hinter mir gewesen und bei meinem Aufspringen auch mitgesprungen sein, denn ich kann mir nicht denken, dass der ganze Russenhaufen vor mir allein weggelaufen wäre. Wie sie laufen! Sie huschen durch das Unterholz. Ab und zu sieht man einen braunen Rücken auftauchen, aber gleich schlagen die Büsche wieder hinter ihm zusammen. Sie flitzen fast lautlos, sie sind schneller als wir. Ich gebe die Verfolgung auf, noch einmal sehen wir sie auf einer Schneise auftauchen. Sie blicken zurück, als ich mit meiner ganzen Gruppe auf dem Waldweg stehe und ihnen nachschaue. Da schießt einer noch einmal zurück, bevor sie endgültig verschwinden.  

Aktuelle Version vom 16. Mai 2023, 17:09 Uhr

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English

••• S. - „kürzlich“ und „am nächsten Morgen“ ergibt sich als 1943/Mai/23 und /24, aber die Rückschau auf „kürzlich“ findet logischerweise von einem späteren – und mangels weiterer Anhaltspunkte eben vom nächsten – Datum aus statt. •••Ich habe den Eindruck, dass wir von den Russen intensiv beobachtet werden. Kürzlich war eine von den Schützenminen, die vor unseren Stellungen liegen, in der Nacht hoch gegangen. Als wir die Stelle am nächsten Morgen aufsuchten, fanden wir im hohen Gras eine Schleichspur, die in einem Gebüsch fünfzig Meter vor unseren Stellungen endete. Hier hatte also ein russischer Späher gelegen und aus nächster Nähe unseren Verkehr, die Lage unserer Stellungen, Feuerstellungen und Schützenlöcher, sowie die Stärke unserer Besatzung beobachtet.

Ein Soldat kommt angesaust und meldet, dass sich Russen vor den Stellungen befinden. Ich laufe mit nach vorn, fasse eine Gruppe zusammen und stoße in den Wald vor, obgleich im Augenblick kein Russe mehr zu sehen war. Wir laufen über eine trockene Bodenwelle, durchwaten in langen Sprüngen einen schmalen, versumpften Bachgrund und gelangen wieder auf trockenen Boden. Hier steht lichter Kiefernwald. Der Boden ist von einer dicken Schicht trockener Äste bedeckt, die das Laufen erschweren. Aus dem Gewirr ragen einzelne Baumstümpfe heraus. Ich ducke mich hinter einen Baumstumpf, um einen Augen••• S. 136 •••blick zu beobachten. Da bewegt sich etwas! 25 Meter vor mir hockt ein Russe genau wie ich hinter einem Baumstumpf und guckt hervor. Er scheint mich nicht gesehen zu haben, denn er pendelt mit dem Kopf hin und her, als wenn er etwas genauer sehen möchte und nicht erkennen kann. Hätte er sich nicht bewegt, dann hätte ich ihn auch nicht erkannt. Wie ich mich aber zum Sprung etwas aufrichte, erkennt er mich durch meine Bewegung. Eine Sekunde lang sehen wir uns in die Augen, abwartend, mit größter Spannung. Dann schnelle ich vor und springe auf ihn zu. Da wendet er sich blitzschnell um, verliert bei dieser Bewegung seine Wattejacke und läuft wie ein Wiesel davon. Ich brülle: „Stoi, stoi!“[1], jage ihm im Laufen ein paar Feuerstöße aus meiner MPi nach, stolpere über dieses verdammte Astwerk – und sehe plötzlich 30 Meter links von mir ein ganzes Rudel erdbrauner Gestalten aufspringen und in geducktem Lauf davoneilen wie ein Rudel aufgescheuchter Rehe. Es waren mindestens zehn Mann. Die hätten mich ja spielend abknallen können, bevor sie fortliefen! Ich war meinen Männern im Eifer des Gefechts voraus geeilt, ohne darauf zu sehen, ob sie mir auch folgen. Zwar ist das eigentlich selbstverständlich, aber was heißt das schon. Sie müssen aber wohl dicht hinter mir gewesen und bei meinem Aufspringen auch mitgesprungen sein, denn ich kann mir nicht denken, dass der ganze Russenhaufen vor mir allein weggelaufen wäre. Wie sie laufen! Sie huschen durch das Unterholz. Ab und zu sieht man einen braunen Rücken auftauchen, aber gleich schlagen die Büsche wieder hinter ihm zusammen. Sie flitzen fast lautlos, sie sind schneller als wir. Ich gebe die Verfolgung auf, noch einmal sehen wir sie auf einer Schneise auftauchen. Sie blicken zurück, als ich mit meiner ganzen Gruppe auf dem Waldweg stehe und ihnen nachschaue. Da schießt einer noch einmal zurück, bevor sie endgültig verschwinden.

Da wir nun schon einmal hier sind, beschließe ich, mir die Gegend etwas genauer anzusehen. Wir folgen dem Waldweg, der auf den Donez zu verläuft und erreichen nach einiger Zeit einen kleinen versumpften Wasserlauf, in dem zwei russische Panzer versackt sind. Ich präge mir die Gegend ein, und dann kehren wir zurück. Unser einziges Beutestück ist eine Wattejacke. Leider hatte der Iwan keine Papiere bei sich. Aber russische Späh- oder Stoßtrupps haben das nie.


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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

  1. Стой! oder Стои! Warte! Bleib (stehen)!