21. November 1941

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English
GEO INFO
Tichozki Karte — map
Ssuchaja-Kamenka Karte — map
Ssenitscheno Karte — map
Longinowa Karte — map
Krasni Jar Karte — map
November 1941 am Donez: Karte der Gegend um Ssuchaja-Kamenka und Tichozkij (Gitterlinien im 10-km-Abstand)[1]
Stellungen bei Iwanowskoje = Tichozkij

Nachts fahren wir plötzlich hoch, geweckt von einem harten, reißenden Schlag. Weitere Einschläge folgen, ganz in der Nähe unseres Quartiers. Dann ist wieder Ruhe, und wir schlafen weiter. Es war das übliche Störfeuer, mit dem der Russe das Dorf von Zeit zu Zeit belegt. Am nächsten Morgen besichtigen wir die Umgebung des Hauses. Eine Granate hat den Gartenzaun zerschmettert und einen kleinen Trichter in den Boden gerissen. Der junge Ukrainer flucht und schüttelt die Fäuste gegen Osten. Dann erzählt er uns empört, dass ein sowjetischer Spähtrupp in dem verlassenen Dorf, das meine MG-Bedienungen unten im Doneztal liegen sehen[2], ein paar Häuser in Brand gesteckt hat. Die Roten hätten Kopfkissen unter die Dachsparren gestopft und angezündet, wobei die strohgedeckten Dächer sofort lichterloh gebrannt hätten.[3] Woher er das weiß? Ein paar Flüchtlinge aus dem verlassenen Dorf haben wohl hier in Tichozki Unterschlupf gefunden und schleichen ab und zu mal heimlich hinüber, um nach dem Rechten zu sehen.

Ich gehe in die Küche. Von hier aus kann man meine Werferstellungen sehen. Am Fenster steht eine junge Frau – wohl eine Verwandte unserer Quartiersleute. Sie steht vornüber gebeugt, die Ellbogen auf das Fensterbrett gestützt, und blickt hinaus, denn es prasselt gerade ein Feuerüberfall sowjetischer Werfer auf den Weg, der zu meinen Stellungen führt. Ich trete ganz dicht hinter sie und blicke ebenfalls hinaus. Der Iwan scheint zu wissen oder zu ahnen, dass dort ein Weg und meine Werferstellungen sind.

Unser Ort wird durch einen Wiesengrund, durch den ein Bach fließt, in zwei Teile geteilt. Unser Dorf ist der kleinere Teil. Der andere Ortsteil ist größer und hat – glaube ich – auch einen eigenen Namen (Ssuchaja-Kamenka?). Die Schule dieses Dorfes wird gerade von einem russischen Infanterie-Geschütz beschossen, weil sie von Deutschen belegt ist. Ich beobachte alles von meinem Wohnzimmerfenster aus. Als der erste Treffer in das obere Stockwerk der Vorderfront einhaut, sausen unten aus dem Hinterausgang die Landser heraus in Deckung. So schnell habe ich selten jemand rennen sehen. Es sah zum Brüllen komisch aus.

Unsere Sicherungslinie am Donez ist sehr dünn. Wegen des überraschenden Wintereinbruchs sind die Stellungen und Stützpunkte oft nur ungenügend ausgebaut. Außerdem liegen sie oft mehrere hundert Meter auseinander, zuweilen sogar kilometerweit. Die Russen haben das bald erkannt und beginnen, sich dazwischenzuschieben. So liegen z. B. auf dem breiten Höhenrücken nördlich von uns sowohl deutsche als auch sowjetische Stellungen, natürlich in respektvollem Abstand und zuweilen ungesehen voneinander. Sie schießen nur jeweils in die entgegengesetzte Richtung. Ein wahrhaft grotesker Zustand!

Da unsere Fernaufklärer – angeblich – gemeldet hatten, dass sich zwischen Donez und Don keine größeren sowjetischen Truppenverbände mehr befinden, nimmt man an, dass sich das Gros der sowjetischen Armeen hinter den Don zurückgezogen und nur Sicherungsverbände am Donez belassen hat. Von diesen sind aber keine größeren Angriffsoperationen zu befürchten, zumal der Winter mit aller Strenge eingesetzt hat. Und so glaubte die deutsche Heeresleitung (oder Hitler) wohl, mit einem Minimum an Verteidigungsstreitkräften auszukommen. So wird hier jedenfalls vermutet. Ich glaube, unsere Divisionen sind durch die bisherigen Verluste personell schon geschwächt, so dass für eine dichtere Besetzung der Stellungen gar nicht mehr genügend Soldaten vorhanden sind.[4] Jedenfalls konnte es deshalb geschehen, dass die Bolschewiki, deren Spähtrupptätigkeit sehr rege ist, sich an vielen Stellen zwischen unseren dünnen Linien festsetzen konnten. Das ist umso leichter, als das Gelände hier im Donezgebiet bergig, hügelig, schluchtenreich und schlecht zu übersehen ist.

Die Russen waren also keineswegs überall hinter den Donez zurück gegangen. Allein in unserem Bataillonsabschnitt saßen sie an mehreren Stellen diesseits des Flusses[5] in unübersichtlichem Gelände, und sogar – wie schon geschildert – direkt zwischen unseren Stellungen. Wo es ihnen möglich scheint, versuchen sie sogar vorzurücken. Auf den Höhen nördlich des Dorfes, wo auch Sasse mit seinem MG liegt, haben sie sogar ganz frech – in Sichtweite! – eine Pakstellung gebaut und beginnen, in direktem Beschuss das Dorf zu bepflastern. Das wird dem Bataillon nun aber doch zu dumm. Es wird beschlossen, diese Einbrüche „auszubügeln“. Wahrscheinlich hat sich Leutnant Herzog dazu angeboten, dieses Unternehmen mit unserer Kompanie durchzuführen, denn wir Unterführer werden zu einer Besprechung gerufen. Laut Plan sollte eine Kompanie, durch meinen schweren Granatwerferzug[6] verstärkt, den breiten Hang am Donez ersteigen und die dortigen russischen Stellungen ausräumen. In weit geöffneter Ordnung gehen wir den Hang hinauf. Leutnant Herzog läuft weit voraus. Da bekommen wir Feuer von hinten! Die Pak auf dem nördlichen Hang kann uns in direktem Schuss von hinten fassen. Wir sehen die Stellung, sehen jeden Abschuss, sehen die Leuchtspurgranate direkt auf uns zufliegen und in unserer Nähe krepieren. Es ist völlig zwecklos, ausweichen zu wollen. Ehe man ahnt, wo sie einschlagen, sind sie schon da. Glücklicherweise treffen die ersten Schüsse meist nicht gleich, bis sie auf die richtige Entfernung und Seitenrichtung eingeschossen sind. Da beobachten wir, dass die Pak von einer unserer IG- (Infanterie-Geschütz-) Stellungen unter Feuer genommen wird. Nach wenigen Schüssen wird die rote Pakstellung durch einen Volltreffer vernichtet, und der Rest der Stützpunktbesatzung – wir zählen 13 Mann – flieht nach rückwärts. Nun haben wir den Rücken frei, erreichen die Höhe auf unserem Hang und werden von feindlichem Infanteriefeuer empfangen. Ich gehe mit meinen Werfern in einer Balka in Stellung, aber bevor ich zum Schuss komme, wird der Angriff abgeblasen. Der Iwan konnte zwar aus einigen Stellungen herausgedrängt werden, aber eine völlige Bereinigung unserer Frontlinie ist nicht gelungen. Eine verstärkte Kompanie ist in diesem Gelände für eine solche Aufgabe zu schwach. Immerhin haben wir für einige Wochen Ruhe, denn seit unserem Angriff verhält sich der Iwan ruhig.[7]

Dafür überrascht er unser Bataillon an einer anderen Stelle. Etwas weiter flussabwärts liegt ein kleines Dörfchen an einem flachen Hang wenige hundert Meter vom Donez entfernt. Hinter dem Dorf begann dichter Wald. Ich glaube, es war Krasni Jar[8]. Die Landser nannten es Winkeldorf.[9] Das Dörfchen war von einer Schützenkompanie unseres Bataillons belegt, der noch ein Zug unserer MG-Kompanie unterstellt war. Ein Kamerad unseres MG-Zuges erzählte uns später von dem Ereignis. Eines nachts waren die Russen unbemerkt über das Eis des Donez gekommen, hatten das Dorf umstellt und im Morgengrauen angegriffen und erstürmt. Mittags aber wurden sie von unseren Leuten im Gegenangriff wieder hinausgeworfen.[10]

Inzwischen hatten die Iwans aber alles, was die Deutschen beim Verlassen des Dorfes zurückgelassen hatten, vereinnahmt. Die Dorfbewohner erzählten, dass die Russen sofort nach dem Sturm mit Panjewagen über das Eis gekommen sein und sämtliche Geräte, Tornister, Wäschebeutel, Brotbeutel, Decken, Zeltbahnen, Kochgeschirre und sonstiges Zeug eiligst verladen und abgefahren hätten. Einen Bauern, der die Rotarmisten hindern wollte, einen deutschen Verwundeten mitzunehmen, hätten diese geohrfeigt. Nach der Rückeroberung saßen unsere Männer zwar wieder in ihren Quartieren, aber ihre Sachen waren restlos futsch.


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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

  1. Deutsche Heereskarte Osteuropa 1:300.000 Blatt Z50 Isjum bei MAPSTER
  2. sicher Ssenitscheno
  3. Ähnliches vermerkt KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1804 Frame 000322, für den 25.11. Grundlage war der Stawka-Befehl Nr. 428 vom 17.11.1941.
  4. Der Zustandsbericht der 257. I.D. vom 15.11.1941 (KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1804 Frame 000173/74) vermeldet ein Fehl von über 4000 Mann. „Die Kampfkraft der Truppe ist durch die Verluste so verringert, dass bei der Infantrie nur etwa 60 % der schweren Waffen besetzt werden können.
  5. KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1804 Frame 000181
  6. Zur damaligen Zeit führte der Autor einen verstärkten sMG-Zug, zu anderen Zeiten einen sGrW-Zug.
  7. KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1804 Frame 000181 vermerkt am 21.11.1941: „Gegen 1400 Uhr stieß ein kampfkräftiger feindlicher Spähtrupp vom Donez her in Gegend Longinowa mit sMG- und Granatwerfer-Unter-stützung gegen unsere Sicherung vor [bzw. (Frame 000320) „auf eigene Sicherungen II/477 bei Longinowa bis Kamenka“]. Feind wurde abgewehrt, hält aber auf Südufer des Donez..“ Longinowa ist der nördliche Nachbarort von Tichotzki.
  8. Krasni Jar gibt es nicht mehr; es ist aber z. B. auf der Karte Rußland 1:100000, Blatt M-37-99 zu finden.
  9. im KTB 257. I.D. (NARA T-315 Roll 1804 Frame 000207) „Winkelhausen
  10. Am 23.11.1941 vermerkt KTB 257. I.D. (NARA T-315 Roll 1804 Frame 000190) einen Angriff und Gegenstoß „nordwestlich Bogoroditschnoje“; dort liegt Krasni Jar, das lediglich auf der damals vom Divisionsstab verwendeten Karte Russland 1:100000 Blatt M-37-XIII Ost Kramatorskaja nicht verzeichnet war.