Die Varusniederlage bei Tacitus, Florus und Paterculus

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von Karl H. Schulze, Dortmund
Heimatforscher
Skriptum des am 31.08.2017 in Dortmund-Hombruch gehalten Vortrags

Einführung

von Ralf Konecki

Die Varusniederlage im Jahre 9 bewegt die Gemüter seit vielen Generationen. Doch der römisch-germanische Krieg ging bis zum Jahre 16 weiter. Als Kaiser Augustus 14 n. Chr. starb, unternahm der Adoptivsohn des neuen Kaisers Tiberius, Germanicus, einen neuen Versuch der Eroberung des heutigen Westfalen. Die Feldzüge der Jahre 15 und 16 berührten nicht nur das Gebiet zwischen Ruhr und Lippe, sondern auch das immer noch umstrittene Schlachtfeld der Varusniederlage. Der Dortmunder Heimatforscher Karl H. Schulze hat seit mehr als einem Jahrzehnt alle erreichbaren Hinweise aus den Bereichen der Archäologie, Vemessungskunde (Ptolemäus), Geschichtsschreibung, Ortsnamen- und Sagenkunde usw. gesammelt und neu bewertet und ist dem Ort der Varusniederlage sehr nahe gekommen.

Varusschlacht?

Für die Römer war es die CLADES VARIANA, die Niederlage des Varus.

Erst die deutschen Romantiker des 19.Jh machten daraus

eine Varusschlacht,
eine Hermannsschlacht
und schließlich wurde daraus mit dem Fundort Kalkriese
die Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH.

Allerdings ist bis heute der Caeliusstein das einzige authentische archäologische Zeugnis für jene Niederlage.

Epitaph des Marcus Caelius.JPG

Die Inschrift des Steins in freier Übersetzung: (Gewidmet dem) MARCUS CAELIUS, Sohn des TITUS aus BONONIA, CENTURIO ersten Ranges der Legion 18, mit 53 Jahren gestorben im Krieg des VARUS – wenn seine Knochen gefunden werden, mögen sie hier beigesetzt werden. - Von P. CAELIUS, dem Bruder errichtet.

Wo hätte man die Knochen suchen sollen?

Über diese Frage, und damit über den Ort des Schlachtfeldes, wird seit Jahrhunderten gestritten.

(Theodor Mommsen, 1885, Q.#1133.4, S.201)
Genügenden Anhalt für die Localisirung der Varusschlacht gewährt die Überlieferung notorisch nicht. Inwiefern kann dieselbe von Funden erwartet werden? Desto notwendiger erscheint es davor zu warnen, [...] dass die Frage mit einigen Nachgrabungen [...] wissenschaftlich gelöst werden könne.

Trotzdem bezieht sich alle Welt auf Mommsen und die Grabungen in Kalkriese.

Mit dieser Schrift soll eine Möglichkeit vorgestellt werden, die bisher allen Forschern entgangen ist.

Auch wenn es wohl noch ein Verständnisproblem geben wird, denn:
Es ist viel leichter, einer Lüge zu glauben, die man schon tausendmal gehört hat,
als einer Wahrheit, die neu ist. Nehmen Sie nur die mittelalterliche Aussage:
„Die Erde ist eine Scheibe.“ Alle haben es geglaubt.
Und so glauben einige Leute fest an den „Teutoburger Wald“,
andere glauben ganz fest an „Kalkriese“.

Hier werden ein paar von den Indizien vorgetragen, die zum Thema

„Die Niederlage des Varus“

gefunden wurden.

Diese Schrift soll nicht irgend etwas „beweisen“, sondern etwas klären und zum Mitdenken anregen.
Ob die richtigen Schlüsse daraus gezogen wurden, muss der Leser entscheiden.

Die Texte der vier antiken Autoren

Alle Argumente müssen sich ausschließlich auf die literarischen Quellen stützen. Diese müssen wir zuerst auf ihre Plausibilität untersuchen. Die vier Textauszüge:

(V.PATERCULUS II.117-119 – er lebte zur Zeit des VARUS)
(zu 9nC) Das Heer – es war das tapferste von allen und nach Zucht, Schlagkraft und Erfahrung in vielen Kriegen unter allen römischen Truppen das erste – wurde durch die Schlaffheit des Führers, die Hinterlist des Feindes und ein ungerechtes Schicksal eingeschlossen, wobei ihnen, wie gern sie dies auch wollten, nicht einmal eine straflose Gelegenheit zum Kampf oder Ausbruch gegeben war, ja sogar mit harter Strafe wurden einige belegt, weil sie Römerwaffen und Römermut gebrauchten.
(L.A.FLORUS II.30 — er lebte um 100nC)
(zu 9nC) So griffen sie den Ahnungslosen und nichts derartiges Befürchtenden überraschend an, als jener – welche Sorglosigkeit! – Leute vor Gericht lud, und von allen Seiten brachen sie herein.

Das Lager wurde gerissen, drei Legionen wurden überwältigt.

(P.C.TACITUS, Annalen I.61 — er schrieb um 100nC)
(zu 15nC) Das ursprüngliche Lager des VARUS zeigte durch den weiten Umfang und die Ausmaße des Feldherrnplatzes die Hände dreier Legionen. Danach sah man an dem halb eingestürzten Wall und am flachen Graben die Stelle, an der sich die schon angeschlagenen Reste festgesetzt haben. Mitten auf dem CAMPUS lagen bleichende Knochen, zerstreut oder in Haufen, je nachdem sie von Flüchtigen oder von einer noch Widerstand leistenden Truppe stammen.
(CASSIUS DIO 56.18–22, nach Q.#02 — er schrieb etwa 229nC)
(zu 9nC) [...] und lockten ihn so weit vom Rhein weg in das Gebiet der Cherusker und zur Weser. [...] Da erhoben sich als erste einige entfernt von ihm wohnende [Stämme] und zwar nach abgesprochenem Plan, damit VARUS, wenn er gegen diese zöge, auf dem Marsch leichter überrumpelt werden könne, da er ja durch Freundesland zu ziehen glaubte, und damit er nicht, wie bei einem plötzlichen allgemeinen Losschlagen, besondere Sicherheitsvorkehrungen treffe.
(Carl SCHUCHHARDT, 1910, Q.#1693)
Es hat die Auffassung sehr an Boden gewonnen, dass die Römer gar nicht auf einem mehrtägigen Marsche allmählich aufgerieben, sondern dass sie in ihrem Lager überfallen seien.

In keinem der frühen antiken Berichte, PATERCULUS (vor 30nC), TACITUS (nach 98nC), FLORUS (um 120nC), wird die VARUS-Niederlage als Marschgefecht beschrieben. Der General V.PATERCULUS und die frühen antiken Historiker FLORUS und TACITUS hätten sich mit einer solchen „Fehlmeldung“ einfach unglaubwürdig gemacht. Aber die Wahrheit durften sie auch nicht schreiben.

Die Variante Marschgefecht kommt erst mit C.DIO (etwa 229nC) in die Literatur. Sie gilt, seit Theodor MOMMSEN (1888) diese für die einzig richtige Version definierte, für die meisten Menschen als Sinnbild des „deutschen“ Befreiungskampfes, für den dann auch das „Hermannsdenkmal“ steht. –

Wer widerspricht schon einem Nobelpreisträger?

Eine persönliche Bemerkung ist höchst ungewöhnlich in einem historischen Bericht. Wenn sie dennoch vorkommt, muss es einen ganz besonderen Grund dafür gegeben haben.

Cassius Dio, der höchste Staatsbeamte seiner Zeit, der zweite Mann nach dem Kaiser, gilt in „gelehrten Kreisen“ nicht als leichtfertiger Erzähler.

Was könnte diese sehr persönliche Bemerkung bedeuten, die er gerade diesem Abschnitt seines Textes vorausschickte?

(nach C. DIO 53.19 zu 9nC)
  • Alles wird so gesprochen, wie es der Fürst und seine Minister wollen. Dinge werden verbreitet, die nie geschehen sind, vieles, was geschehen ist, wird nie bekannt. Fast alles wird anders erzählt, als es wirklich ergangen ist, so dass kein Mensch die reine Wahrheit erfährt außer denen, welche die Dinge selbst ausgeführt haben.
  • Daher werde auch ich alle folgenden Ereignisse, die ich nicht übergehen darf, so erzählen, wie sie öffentlich bekannt gegeben sind, mögen sie nun wirklich so, oder auch anders sich zugetragen haben. Wo sich’s tun lässt, will ich allerdings meine Meinung beifügen [...]

Und dann macht C. DIO eine Satire daraus.

Das kann doch nur heißen, dass dem C.DIO die Darstellung in den Senatsakten suspekt vorkam.

Doch seit Th. Mommsen wird gerade diese Bemerkung von allen Interpreten ignoriert.

Mit seinen satirisch gemeinten Aussagen konnte Cassius Dio darauf bauen, dass seine intellektuellen Zeitgenossen dieses Kapitel auch als Satire erkennen würden.

Er konnte aber nicht ahnen, dass intelligente Menschen in einem späteren Kulturkreis diese Satire trotz deutlicher Anspielungen kritiklos als Wahrheit einstufen würden.

Beispiele aus dem Text des CASSIUS DIO

Kaum glaubhaft ist die Aussage des Cassius Dio „Und lockten ihn weit vom Rhein weg“. Man beherrscht ein Land nicht dadurch, dass man sich einmal im Jahr zum „Sommerlager“ in das Land begibt.

(Walter JOHN, 1963, Q.#65, S.926)
Der Heereszug mit dem friedensmäßig gewaltigen Tross von Lastwagen und Lasttieren, Kindern (oder Sklaven?) und Weibern [??], entbehrt jeder festen Marschordnung (20.2).
(Theodor Mommsen, 1885, Q.#1133.4, S.206)
Aber Frauen und Kinder fanden in dem Feldlager sich nicht. Die römische Disciplin hat bis auf die Zeit des Severus an der alten strengen Regel festgehalten, dass Weiber nicht in das Lager gehören.
(Walter JOHN, 1963, Q.#65, S.926)
Statt der “unwegsamen Wälder” (19.5) erscheinen [bei Cassius Dio] jetzt Berge (gr. ORE), die in einfältiger Weise als “schluchtenreich und uneben” charakterisiert werden. Die Römer müssen Bäume fällen, die dicht und übergroß den Weg versperren, ja sie müssen überhaupt erst einen Weg bahnen und manche Wegstrecken durch Knüppeldämme gangbar machen (20.1).

Sturm und Regen lässt die marschierenden an den Baumwurzeln und Baumstümpfen ausgleiten, niedersausende Baumäste schaffen weitere Verwirrung (20.3).

Und nun werden die Römer plötzlich von allen Seiten aus dem Dickicht angegriffen von den ortskundigen Germanen, die, als sie keine Gegenwehr finden, zum Nahangriff übergehen (20.4).

Bei dem völligen Durcheinander vermögen die Römer weder eine reguläre Kampfordnung zu bilden noch überhaupt sich gegen die in zahlenmäßiger Überlegenheit auf sie losstürzenden Angreifer zu wehren (20.5). So wird dann an Ort und Stelle ein Lager aufgeschlagen (21.1).

Danach hätte „der deutsche Wald“ die Römer besiegt.

(Manfred MILLHOFF, 2009, Q.#661, S.116)
Zudem standen nach neueren Erkenntnissen „die Truppen jetzt ständig – also auch während er Wintermonate – im rechtsrheinischen Gebiet (M. GECHTER)“, so dass heute sogar in Zweifel gezogen wird, ob es den von C.DIO beschriebenen Zug überhaupt gegeben hat.

Schon seit 20 Jahren (DRUSUS, 11vC) gab es feste Lager (also Winterlager!) in Germanien. Hätte man diese wohl während der Sommermonate ohne Bewachung zurücklassen können? – Wohl kaum!

(Paul HÖFER, 1888, Q.#491)
Der Kampf beginnt unmittelbar nach dem Festmahl. Kein Aufbruch, kein Marsch, kein Marschgefecht!
(TACITUS, Annalen I.55 zu 15nC)
Segestes wies auf die Vorbereitungen für einen Aufstand auch sonst oft und noch beim letzten Festmahl hin, nach dem es zum Kampf kam.

Nachrichtensperre und Propaganda

(Holger SONNABEND, 2009, Q.#920)
Von der Eroberung der Alpen zeugt heute noch [...] ein imposantes römisches Siegesdenkmal oberhalb von Monaco [...] vom Bestreben des Augustus, Siege nicht nur zu erringen, sondern sie auch publik zu machen. Umgekehrt galt, wie der Umgang mit der „Schlacht am Teutoburger Wald“ zeigt, [...] Niederlagen komplett totzuschweigen oder sie so zu verschleiern, dass Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit nicht mehr erkennbar sind.
(Paul HÖFER, 1888, Q.#491, S.153)
FLORUS erzählt auch an anderen Stellen (III.19, III.20), dass römischen Feldherren das Lager weggenommen ist und nennt dies den „äußersten Schimpf“ des Krieges. (ULTIMUM BELLI DEDECUS)

Der „Schimpf“ bestand also nicht darin, eine Schlacht zu verlieren, sondern im Lager überrumpelt zu werden.

(Dieter TIMPE, 1968, Q.#499, S.290, 1968)
[...] Es lag im Interesse der römischen Regierung, das „wie“ nicht laut werden zu lassen.

Da durften auch keine Zeugen auftreten, die diesen „amtlichen Darstellungen“ hätten widersprechen können:

(C. DIO 56.22, Übers W. CAPELLE, Q.#02 zu 9nC)
Es wurden in der Folgezeit auch einige Gefangene [aus der Gewalt der Germanen] wieder eingebracht, die von ihren Angehörigen losgekauft waren. Es war diesen gestattet worden, dies unter der Bedingung zu tun, dass die Losgekauften den Boden Italiens nicht wieder betreten.
(Paul HÖFER, 1888, Q.#491, S.150)
Auch diese Maßregel setzte einen „schimpflichen“ Vorgang voraus. Vielleicht wollte man dadurch verhindern, dass die Einzelheiten zu Rom in einer Weise erzählt wurden, welche der offiziellen Darstellung widersprach.

Ein weiteres Zeugnis steht bei Tacitus Annalen II.46 in der Schmährede des Marbod auf Arminius 17nC.:

Arminius hätte drei dienstfreie Legionen und ihren arglosen Führer treulos hintergangen.

[...] QUONIAM TRES VACUAS LEGIONES ET DUCEM FRAUDIS IGNARUM PERFIDA DECEPERIT [...]

Die Textstelle wurde geändert in TRES VAGAS LEGIONES (DRAEGER, 1882)

(Begründung:) für das sich keine vernünftige Erklärung finden lässt, da weder die Bedeutung “herrenlos” noch “schutzlos” im Text eine Stütze findet. VAGAS hätte den Sinn “in ihre Bestandteile aufgelöst, ohne inneren Zusammenhalt”. (Zusatz NIPPERDEY, 1915): eher als “des Landes unkundig umherirrend”

So einfach wurde der Text des Tacitus auf die romanhafte Erzählung des C.DIO „angepasst“. Wo bitte hätte es bei einem Marsch „dienstfreie Legionen“ gegeben?

Varus, ein feiner Herr, Mitglied des Kaiserhauses

(V. PATERCULUS II.117–119, lebte zur Zeit des VARUS zu 9nC)
Varus auf einer Münze der Stadt Achulla (Münzkabinett, Berlin)

QUINCTILIUS VARUS stammte aus einer eher berühmten als vornehmen Familie, war von sanfter Gemütsart, ruhigen Umgangsformen und körperlich wie geistig etwas schwerfällig. Er war mehr an das geruhsame Lagerleben als an den Gefechtsdienst gewöhnt. Wie wenig er wahrlich Geld verachtete, kann Syrien bezeugen, das er verwaltet hatte.

Arm kam er in ein reiches Land, reich verließ er ein armes Land.

Als er das Heer, das in Germanien stand, kommandierte, meinte er, die Germanen seien Menschen, die außer Sprache und Gestalt nichts menschliches hätten, und wer sich mit dem Schwert nicht bändigen lasse, könne mittels des Rechts besänftigt werden. Mit diesem Vorsatz ging er ins Innere Germaniens wie zu Menschen, die sich an der Süßigkeit des Friedens freuen, und zog die Sommerkampagne hin mit Rechtsprechen und formvollendeter Verhandlungsführung.

Weil die verwandtschaftlichen Beziehungen der Personen nicht ohne Weiteres zu verstehen sind, ist hier eine (verkürzte!) Genealogie der Familie nach dem Vater des JULIUS Caesar.

                     C.JULIUS Caesar ∞ Aurelia                                            
                         ┌───────────┴────────────┐                                       
                   JULIUS CAESAR ∞ Cornelia     Julia ∞ M.Atius Balbus                    
                       -44vC     │                    │                                   
                              Julia-1 ∞ POMPEIUS     Atia ∞ C.Octavius                    
                   ┌──────────────────────────────────────┴─────────┐                     
                   │                                                │                     
  Scribonia 1.∞ AUGUSTUS 2.∞2. Livia 1.∞ T.Claudius    Marcel 1.∞ Octavia 2.∞ ANTONIUS    
              │  -14nC                 │  Nero         lus-1    │           │             
              └──────────────┐   ┌─────┴─────────────────────┐  │           │             
   ┌──────────────────────── │ ─ │ ──────┬────────┬───────── │ ─┘           │             
   │                         │   │       │        │          │              │             
Claudia ∞1. AGRIPPA 2.∞2. Julia-2 1.∞ Marcus   Claudia ∞ M.  DRUSUS 1.∞ Antonia 2.∞ AHENO-
Marcel- │    -12vC        3.∞    │    Claudius Marcel- │ Val. -9vC                  BARBUS
la-1    │                 TIBERIUS    Marcel-  la-2    │ Mess.                            
        │                             lus-2            │ Appianus                         
        │                                              │                                  
        Vipsania Marcella 1.∞ P.Q.VARUS 3.(2.?)∞ Claudia Pulchra                          
                                -9nC                                                      

Der CONVENTUS

(FLORUS vor 120nC zu 9nC)
[Varus] wagte es, einen CONVENTUS (Landtag) abzuhalten, und er erließ unvorsichtig Vorschriften, als könne er der Gewalttätigkeit der Barbaren durch die Ruten des Liktors und die Stimme des Heroldes Einhalt gebieten.
(Rainer FRIEBE, 2010, Q.#1085, S.91)
[Zur Rechtsprechung:] Das war eine durchaus alltägliche Arbeit, die zu den Pflichten des VARUS zählte.
(Franz CRAMER, 1911, Q.#1117, S.97)
In einer fremden, der Masse unverständlichen Sprache wurde vor römischen Richtern und Sachwaltern verhandelt. Das war schon im Zivilprozess, in Fragen über Mein und Dein, schlimm genug. [...] Noch ärger musste der römische Strafprozess wirken. Strafen wurden verhängt, die dem Volksgemüt völlig unverständlich waren. Ja, man erlebte den Gräuel, dass freie Männer wie elende Sklaven mit Ruten gezüchtigt und kniend mit dem Beile geköpft wurden. Das war unerhört. [...] Wut ergriff das Volk.
(TACITUS Germania 7)
Im übrigen ist es [den Germanen] nicht erlaubt, jemanden hinrichten, in Fesseln legen oder auspeitschen zu lassen. Dieses Recht steht nur den Priestern zu.
(nach Wilm BREPOHL, 2001, Q.#32, S.117)
[Die Strafpraxis der Römer] musste den erbitterten Widerstand vor allem derjenigen gesellschaftlichen Kräfte hervorrufen, die für die Einhaltung und Bewahrung der Sitten und Gebräuche auf Grund göttlichen Rechts Verantwortung trugen, nämlich die Priester und die Stammesadligen.

Militärisch besiegt zu werden, war nach göttlichem Willen hinzunehmen, dies war durch spätere Kämpfe änderbar. Ein Zerbrechen der heiligen, überlieferten Sitten aber bedeutete über kurz oder lang den Untergang der Stammesgesellschaften.

Das durfte die [germanische] Geistlichkeit auf keinen Fall dulden. Die genannten Strafen waren nur durch die Geistlichkeit (d.h. in Anwesenheit der Götter!) verhandelbar. Das Heiligtum [die Gerichtsstätte, d. Red.] durfte nur ohne Waffen betreten werden. Die Gefolgschaften mussten nach der Aufforderung durch die Geistlichkeit zum Kampf antreten. Für die Information der Gefolgschaften war also keine vorbereitende Planung und auch keine Vorbereitung für einen Überfall nötig, die eventuell hätte verraten werden können.

Der besondere Tag und die „dienstfreien Legionen“

(G.A. LEHMANN, Historiker, 2001, nach Q.#32)
Auf der Basis der teilweise sehr präzisen Angaben für die Kapitulation des letzten Widerstandsherdes in Illyrien / Dalmatien [...] ergibt sich für die Varusschlacht eine zuverlässige Datierung in das letzte Drittel des Monats September 9nC.
(nach Wilm BREPOHL, 2001, Q.#32)
Das germanische Jahr begann mit den Opferfesten zur Tag- und Nachtgleiche im Herbst. Die konkrete Datierbarkeit konnte nur jedes Jahr wieder neu erst durch den Vollmond bestimmt werden. Der These folgend, dass VARUS zum großen "Allthing" kam, müsste die Varusschlacht mit dem Zeitpunkt des Kultfestes zusammen fallen. Es könnte den Termin der Tag- und Nachtgleiche am 23. September 9 in Frage stellen, wenn an diesem Tag kein Vollmond war. Doch an diesem Tag trat der Vollmond um 02:50 Uhr Ortszeit ein. Das Zusammenfallen von Tag- und Nachtgleiche und Vollmond wird für die Germanen ein göttliches Vorzeichen gewesen sein.

Zu diesem Tag kommt noch ein Aspekt: Der 23. September war der Geburtstag des AUGUSTUS.

(CIL XII.4333 nach H. FREIS, Q.#937,1984)
Der Tag, an dem das Glück dieser Zeit ihn dem Erdkreis als Lenker gebar.
(IBM IV.1.894 nach H. FREIS, Q.#937,1984)
[...] da die ewige unsterbliche Natur des Alls das größte Gut aus überschäumender Freundlichkeit den Menschen schenkte, indem sie CAESAR AUGUSTUS hervorbrachte, den Vater für ein glückseliges Leben bei uns [...] denn Land und Meer leben in Frieden, Städte glänzen in gesetzlicher Ordnung.

Eine Bestätigung des Datums aus Germanien (aus der Völuspa)

Sogar in der germanischen Sagentradition gibt es eine Bestätigung des Datums.

Allein saß sie draußen, als mit den Alten

kam Yggjungr, um den Asen ins Auge zu sehen.

Ein sat hon uti, þar er inn aldni kom

Yggjungr asa ok i augu leit.

(inn=mit)

(Ygg = Bund)

Yggjungr = der Bundesfeldherr geht zur WALA (Völa), um ins Angesicht der Götter zu schauen (den Willen der Götter zu erfahren): (Zu Ygg vgl. Yggdrasil / JUNGR = lt. Wörterbuch dunlkes Wort, vgl, Junker). Der Feldherr wurde selbstverständlich von den „Alten“ = der Geistlichkeit begleitet.
Es folgt der von bisherigen Interpreten meist als dunkel empfundene klare Orakelspruch der Wala.

Weit seh ich voraus,
auch, wie die Welt zu bewahren ist.
Ich seh Walküren von weither kommen
bereit zu reiten zu trefflichen Völkern.
Die Zukunft heißt Schild
des Waldvolks Hoffnung.
Kampf,
Kampf,
Kampf,
und ein Wald von Speeren.
So sind richtig aufgezählt die Mühen.
Bereit zum Schlachtfeld zu reiten sind die Walküren.
Ich sehe dem Baldur, des waltenden Odin
blühenden Sohn, sein Schicksal drohen.

Sa hon vitt
oc um vitt of verold hveria.
Sa hon valkyrior vitt um komnar
gorvar at rida til godþiodar
Skuld helt skildi
enn skogul onnur.
Gunnr,
Hildr,
Gondul
ok Geirskogul.
nu ero taldar nonnor Herians.
gorvar at rida grund, valkyrior.
Ec sa Baldri, blodgom tivor,
Odins barni orlog folgin.


(veria=schützen)

(god = trefflich, thiod=Volk)
(Skuld = die Zukunft)
(skogul = Wald, onnur = Hoffnung)
(Gunnr = Kampf)
(Hildr = Kampf)
(Gondul = Kampf)
(geir = Speer, skogul = Wald)
(herja = plagen)
(um die gefallenen Helden nach Walhall zu begleiten.)

BALDUR = der Sohn Odins, muss am Herbstfest zur Tag-und-Nachtgleiche sterben, ein präziser Termin für die sogenannte „Varusschlacht“ am 23. September 9, er wird im Frühling wieder auferstehen.

Wachsen wird über dem Schlachtfeld
schlank und sehr schön der Mistelzweig.

stod um vaxinn vollom haeri,
mior oc mioc fagr, mistilteinn.

(Feld, Kampfplatz)

MISTEL = die schadenabwehrende Pflanze, das ist der Hinweis: „es wird gut ausgehen“. Nach dem Orakelspruch der Wala haben sich die Geistlichkeit und der Feldherr darüber verständigt, dass das Unternehmen, obgleich gefahrvoll, gewagt werden muss.

Die Gleichzeitigkeit der Termine – großes Kultfest und Geburtstagsparade für AUGUSTUS – stellten einen nicht zu unterschätzenden Glücksfall dar. Nur an diesem Tag war zu erwarten, dass die Legionen nach der obligatorischen Rede und der Parade dienstfrei bekamen und damit nicht unter Waffen standen. Diese Erkenntnis könnte der Anstoß für eine ganze Kette von Gedanken gewesen sein. Die Römer mussten veranlasst werden, diesen Tag “in der Mitte Germaniens” zu feiern. Nur dann wäre ein militärischer Erfolg möglich. Es entstand die Idee, die Römer ihre Überlegenheit gegenüber den noch unschlüssigen Gefolgschaftsführern demonstrieren zu lassen.

Nur an diesem “Tag des großen Kultfestes” und an dieser Stelle war für VARUS die Gelegenheit gegeben, alle germanischen Gefolgschaftsführer innerhalb des Kultverbandes gleichzeitig ansprechen zu können. Die Römer sind auf diesen Vorschlag eingegangen.

Kein „hölzernes Pferd“ nötig

(nach Christian HINDER, 2007, Q.#702)
Die Kommandanten haben sich spendabel gezeigt und der Wein dürfte reichlich geflossen sein. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass die römischen Soldaten zum Zeitpunkt des Angriffs „handlungsunfähig“ gewesen sein dürften. Leichter konnte man den Germanen eine Aussicht auf einen Erfolg nicht machen. Das „trojanische Pferd“ des ARMINIUS waren die [Gleichzeitigkeit der] Feierlichkeiten [und des CONVENTUS]. Die Germanen brauchten nicht einmal ein hölzernes Pferd um ins Lager des Feindes zu gelangen. Sie waren schon mittendrin.

Der Conventus fand also am 23.09.09 in einem Römerlager statt.

Können Sie sich vorstellen, dass dieser CONVENTUS in einem festen Lager wirkungsvoller ist als in einem "Sommerlager", einem Zeltlager? Wer hat überhaupt das Wort "Sommerlager" geprägt?

Ein festes Römerlager am Fluss

Damit wäre zunächst ein festes Lager am Fluss zu suchen.

Warum am Fluss? – Wasser war besonders wichtig für die erforderlichen Nachschubtransporte und für den enormen Wasserverbrauch des Heeres. Ein Rechenbeispiel:

Die 3 Legionen des VARUS werden häufig mit 18000 – 20000 Mann angenommen. Dabei mag eine Art der Heldenverehrung für „HERMANN“ eine gewichtige Rolle gespielt haben, denn der Spruch „viel Feind – viel Ehr“ galt lange Zeit.

Für unsere Hypothese stapeln wir einmal bewusst tief und setzen die gesamte Kopfzahl der 3 Legionen (also einschließlich der Diener und Nichtkämpfer!) mit 12000 Mann an. Nach einschlägigen Ermittlungen braucht jeder Mann pro Tag 0,85kg Getreide plus anderer Nahrungsmittel plus Ausrüstungsnachschub, das ist ein Transportvolumen von 1,2kg pro Mann und Tag.

Also braucht dieses (reduzierte) Heer täglich 15000 kg Transportkapazität, denn eine solche Menge an Nahrungsmitteln und Ausrüstung lässt sich nicht in der unmittelbaren Umgebung requirieren. Für einen Flusskahn auf der Lippe wird eine maximale Ladekapazität von 15 Tonnen als plausibel eingestuft. Wegen der Länge des Wasserweges VETERA – Ende der Lippe = (heute) 203 km und der Tagesleistung bei Treidelbetrieb mit Menschenkraft von etwa 10 km wären also allein hier schon 40 Boote (bei Pendelverkehr Hin- und Rückfahrt) erforderlich.

Diese Last auf Tragtiere mit je 150 kg Last verladen erforderte 100 Tiere. Wohlgemerkt für jeden Tag! Legen diese Tragtiere 20 km pro Tag zurück, wären statt der Boote für den Hin- und Rückweg VETERA – Ende der Lippe 2000 Tragtiere erforderlich.

Wie verhält sich das zum Text des C. DIO:

(C. DIO 56.18–22, Q.#02 zu 9nC)
[...] und lockten ihn so weit vom Rhein weg in das Gebiet der Cherusker und zur Weser.

Ein Landweg von der oberen Lippe zur mittleren Weser wäre mit mindestens weiteren 3 Tagen zu veranschlagen. Das heißt, hier müssten für Hin- und Rückweg zusätzlich zum Schiffstransport bis Anreppen 600 Tiere pendeln. Allein schon wegen dieser Überlegung ist die Lage eines VARUS-Sommerlagers an der Weser nicht gerade wahrscheinlich. Auch ein 2008 (passend zum „Jubiläum“ 2009) an der PORTA WESTFALICA entdecktes Römerlager, von Daniel Berenger als „Sommerlager des Varus“ genannt, kann diese Rechnung nicht korrigieren.

Eine Alternative ist das "Standlager" am östlichen Ende der Lippe, das seit 1968 ergraben ist. Es hat den modernen Namen ANREPPEN bekommen. Dieses möchte ich einmal als Beispiel nehmen. Kommt das Römerlager ANREPPEN, vom Standort des Germanicus 15nC „zwischen Ems und Lippe“ ausgehend, „in der Nähe“ (HAUD PROCUL) als Platz für ein „festes Lager“ in Frage?

Zunächst ein Abstecher in die Geschichte der römischen Feldzüge in Germanien.

(J.S. KÜHLBORN, Archäologe, 2000, Q.#41, S.33)
Möglicherweise ist das Römerlager Anreppen identisch mit einem Lager, das nach V.PATERCULUS (II.105) im Winter 4-5nC von TIBERIUS errichtet wurde.

Das Lager in „Germania Finibus“ am Kopf der IVIIA

Mannschaftskasernen an der südl Holz-Erde-Mauer.jpg

(V.PATERCULUS II.105, Übers. W. CAPELLE, Q.#02 zu 4nC.)
[...] Sein Pflichtgefühl rief den Caesar [Tiberius], obwohl die Alpenpässe infolge des Winters fast versperrt waren, in die Hauptstadt [Rom], doch die Sorge für den Schutz des Reiches führte ihn zu Beginn des Frühjahrs nach Germanien zurück, in dessen Mitte der Caesar bei seinem Scheiden an der Mündung [??] der JULIA [??] das Winterlager hatte aufschlagen lassen.
(Josef WORMSTALL, 1876, Q.#977)
Seit dem Bekanntwerden der Quelle [...] suchten die Erklärer vergeblich nach einem Juliafluss im nördlichen Deutschland. Man fand keinen und entschied sich für die von Justus LIPSIUS [1606] gemachte Änderung: AD CAPUT LUPIAE FLUMINIS (an der Quelle [??] der Lippe).

1. Problem: Dieses im Winter von 4-5nC von Tiberius errichtete Lager „Ad Caput JULIA“ ist immer noch nicht sicher bestimmt. Die Unsicherheit der Interpretation entstand durch das Wort CAPUT. Ptolemaios gibt uns die Erklärung dazu. In seiner „Geografike“ kommt das Wort „κεφαλή“ = Kopf mehrmals vor: als „Kopf“ des Rheins, als „Kopf“ der Donau, als „Kopf“ der Weichsel. Alle bedeuten (nachprüfbar) „das Ende der Schiffbarkeit“ auf diesen Flüssen, von der Mündung zur Quelle betrachtet. In den lateinischen Übersetzungen der „Geografike“ steht für „κεφαλή“ = CAPUT.

CAPUT bedeutet demnach weder Mündung noch Quelle, sondern Endpunkt der Schiffbarkeit.

Ein Ende der Schiffbarkeit ist (Binsenweisheit!) in den meisten Fällen ein Hafen.

2. Problem: die Erforschung des wahren Textes von Velleius Paterculus krankt daran, dass die einzige Handschrift seit 1620 verschollen ist. Hat der lateinische Text (auch in gotischer Handschrift) etwa so ausgesehen:

IVIIA kann man leicht als JULIA lesen. Aber auch als IUNA (gesprochen Chuna).

Es gibt einen Fluss GUNNE (auf westfälisch gesprochen Chunne), Nebenfluss der Lippe. Die Gunne fließt in der Nähe des Römerlagers Anreppen.

Die Gunne und ihre Wassermühle

Die GUNNE (gesprochen Chunne), Nebenfluss der Lippe, hat einen Lauf, der nicht übereinstimmt mit den sie umgebenden Höhenlinien. Der heutige Lauf der Gunne gleicht einem – sogar recht geraden (!!) – „Mühlengraben“, der von seinem ursprünglichen Lauf zum Betrieb einer Mühle beim ehemaligen Rittersitz Ringboke umgeleitet wurde.

Kehrwinkel in DTK25.jpg Land NRW (2017) Datenlizenz Deutschland - Namensnennung - Version 2.0 (www.govdata.de/dl-de/by-2-0

Kehrwinkel in Uraufnahme.jpg Land NRW (2017) Datenlizenz Deutschland - Namensnennung - Version 2.0 (www.govdata.de/dl-de/by-2-0

Der ursprüngliche Lauf wäre nach den Höhenlinien durch den heutigen Stemmeckebach gegangen. Auf dem Messtischblatt 4217UR (1838) endet eine Stichstraße von der Landstraße Bentfeld – Scharmede am „Kehrwinkel“ (!), an der Stelle jener Umleitung. Hier war wohl ein Hochwasserschütz mit Überleitung in den Stemmeckebach.

(Ludwig KNUST, telefonisch 2009-04-18, Q.#678)
Die Vermutung der „Umleitung“ wird von den Landwirten des südlich davon liegenden Ortes Thüle voll bestätigt. Man sagt dort: „die Gunne (Chunne gesprochen) fließt über’n Berg“. Besonders auffällig: Einige südlich der „neuen“ Gunne entspringende Bäche unterqueren die Gunne im Rohr und entwässern in den nördlich davon fließenden Teebach, der seinerseits erst unterhalb der ehemaligen Mühle die Gunne erreicht.

Diese „Unterquerungen“ sind neben den Höhenlinien ein weiterer Beweis, dass es sich um einen künstlichen Wasserlauf handelt, dessen Gefälle nicht zu stark werden durfte. – Wenn wir einen Kanal graben, durch den Wasser fließen soll, müssen wir dafür sorgen, dass ein Gefälle erhalten bleibt. Führen wir diesen Kanal auf einem Umweg, geht Höhe verloren. Gerade das ist zum Antrieb einer Mühle nicht erwünscht.

Nach diesen Erkenntnissen liegt das Römerlager Anreppen an der ursprünglichen GUNNE.

Beschreibt V. PATERCULUS zweimal das gleiche Lager?

(Josef WORMSTALL, 1876, Q.#977)
Bezog in diesem Standlager [des Tiberius] vielleicht auch Varus seinen Sommeraufenthalt?
(Joachim NASE, 1909, Q.#592, S.54)
Sollte nicht beständig seit dem Jahre 4nC das römische Winterquartier AD CAPUT JULIAE sich befunden haben? Auch VARUS scheint [dort] seinen Hauptaufenthaltsort gehabt zu haben.

Für die Überwinterung 4-5nC lautet der Text:

(V. PATERCULUS II.105 zu 4-5nC)
REDUXIT IN GERMANIAM, IN CUIUS MEDIIS FINIBUS AD CAPUT JULIAE FLUMINIS HIBERNA.
Diese Übersetzung ist nach unseren Erkenntnissen zu ändern in: „am Kopf des Flusses IVIIA“

Für die Rechtsprechung des VARUS 9nC lautet der Text:

(V. PATERCULUS II.117–119 zu 9nC)
[...] IN MEDIIS GERMANIA FINIBUS EXERCITUI PRAEESSE CREDERET.

[...] er befehlige ein Heer mitten in Germanien.

(W.E. GIEFERS, 1856, Q.#789, S.45)
Das ist doch wohl „derselbe Fall“ wie der vorliegende, genau dieselben Worte!

Und es gibt noch ein Argument für einen Überfall im festen Lager:

(V. PATERCULUS II.117, Übers. B. DREYER, Q.#964, 2008)
Weder zum Kämpfen noch zum Ausbrechen bot sich ihnen, so sehnlich sie es auch wünschten, ungehindert Gelegenheit. Einige mussten sogar schwer dafür büßen, dass sie als Römer ihre Waffen und ihren Kampfgeist eingesetzt hatten.
Hat denn bisher noch niemand von den Verfechtern des Marschgefechts gemerkt, dass dieses „Ausbrechen“ nur zu einem Lagergefecht passen kann?

Wo könnten denn einige beim Marschgefecht zurückgerufen und bestraft worden sein?

Ein weiteres Indiz zu „Kopf der IVIIA“ ist das Lagerhaus am Südtor des Römerlagers

Nach der Landkarte von LE COQ (1805) müssten wir annehmen, das Südtor des Römerlagers Anreppen hätte sogar zum Sumpf hin geführt. Wir müssen uns fragen, ob das plausibel ist. Für mich ist es schon plausibel, dass der Hafen nicht im Norden des Lagers lag. Wieso hätte man den Hafen denn im Strom der Lippe anlegen sollen?

(Tilmann BECHERT, 1996, 1982 in Q.#838, S.35)
Die geografische und strategische Position jedes einzelnen Lagers ist mit Bedacht, Sinn und Strategie gewählt worden. Immer lagen große Militärstützpunkte am Wasser, d.h. sie waren verkehrstechnisch leicht zu erreichen. Mit Vorliebe wählte man Seitenarme oder Altwasser des Rheins (Anmerkung des Herrn H. Lampe, Q.#838, 1996: oder, wie in Dorsten-Holsterhausen die Mündung von Bächen), die eine günstigere Hafensituation boten, als die Ufer des offenen Flusses.

Weitere Beispiele für solche Anlagen sind beim „Rotherbach“ neben dem „Kastell Beckinghausen“ zu finden (E. BREMER, Q.#17, 2001), ebenfalls beim Lager Haltern an der Hallape statt an der Lippe (Teil 25.6). Die Häfen lagen also eher an den Mündungen dieser Nebenflüsse.

Statt des Sumpfes war hier der ehemalige Lauf der „GUNNE“. Was wäre plausibler, als einen Hafen im strömungsarmen Nebenfluss anzulegen?

In der offiziellen Zeichnung fügt sich das Lagerhaus (6), nahe der PORTA PRINCIPALIS DEXTRA (A), sauber in den Gesamtgrundriss ein. Es ist wohl das ältere Lagerhaus, das zusammen mit dem Bau des Lagers errichtet wurde. Ein solches Lagerhaus wird doch wohl in der Nähe des Hafens errichtet worden sein. Das würde bedeuten, dass die Hafenanlagen im Süden, wahrscheinlich sogar eher im Südosten, nahe dem Lagertor (A), zu erwarten wären.

Schriftliche Anfrage 2009: Sind sie dort schon jemals gesucht worden? Antwort steht noch aus.

„Ungewöhnlich großzügig“ für TIBERIUS oder für VARUS?

(J.S. KÜHLBORN, Archäologe, 2000, Q.#41, S.33)
Möglicherweise ist das Römerlager Anreppen identisch mit einem Lager, das nach V.Paterculus (II.105) im Winter 4-5nC von Tiberius errichtet wurde. [...], denn die für ein Militärlager ‚ungewöhnlich großzügig ausgefallene bauliche Konzeption des PRAETORIUM könnte einem Mitglied des kaiserlichen Hauses, nämlich Tiberius, als angemessenes Quartier gedient haben.

Oder das angemessene Quartier war für das „Mitglied des kaiserlichen Hauses” VARUS?

Von TIBERIUS (46), Adoptivsohn des Kaisers AUGUSTUS haben wir diese Beschreibung:

(SUETON, TIBERIUS 16 zu 11nC)
Jenseits des Rheines aber hielt er die Lebensregel ein, dass er auf dem bloßen Rasen sitzend seine Mahlzeit einnahm, oft ohne Zelt übernachtete und alle Befehle für den folgenden Tag gab.

Zum Vergleich die Beschreibung des VARUS (55), wie sie antik überliefert ist.

(V. PATERCULUS II.117–119, lebte zur Zeit des VARUS zu 9nC)
QUINCTILIUS VARUS stammte aus einer eher berühmten als vornehmen Familie, war von sanfter Gemütsart, ruhigen Umgangsformen und körperlich wie geistig etwas schwerfällig. Er war mehr an das geruhsame Lagerleben als an den Gefechtsdienst gewöhnt.

Welcher von beiden Personen würden wir ein so „ungewöhnlich großzügiges“ Praetorium eher zutrauen?

(Nach J.S. KÜHLBORN, 1991, Q.#1204, S.137)
Zahlen zum Begriff „ungewöhnlich großzügig“: Oberaden (DRUSUS) = 2420m²
Haltern (TIBERIUS) = 2120m²
Anreppen = 3375m²

War da nicht so etwas bei Tacitus zu lesen?

(TACITUS, Annalen I.61 zu 15nC)
PRIMA VARI CASTRA LATO AMBITU ET DIMENSIS PRINCIPIIS TRIUM LEGIONUM MANUS OSTENTABANT.

Und wie war das noch mit dem „Hildesheimer Silberschatz“?

Tesoro di hildesheim, argento, I sec ac-I dc ca., coppe, piatto baccellato, calderone, crateri, piatti, situla.JPG

Zu Hildesheimer Silberfund.jpg

Drusus, Tiberius, später Germanicus werden wohl kaum ein so aufwändiges Tafelgeschirr in Germanien verloren haben.

Der Zug des Germanicus bis zu den „Äußersten Bructerern“

Nur der antike Bericht dieses Kriegszuges gibt Hinweise auf den Ort der Varusschlacht.

Das Heer der Germanicus zog parallel zur Ems flußaufwärts. Auch dieses Heer war auf Nachschub auf dem Wasserweg angewiesen.

Der Feldzug des Jahres 15nC.jpg

(TACITUS, Annalen I.60 zu 15nC)
Sodann wurde der Heereszug bis in die äußersten Teile des BRUCTERER-Landes geführt und alles Land zwischen den Flüssen Ems und Lippe verwüstet, nicht weit (HAUD PROCUL) vom Teutoburgischen Wald, in dem wie man sagte, die Überreste des VARUS und seiner Legionen noch unbestattet lagen.
(Otto DAHM, 1902, Q.#433, S.54)
Es gibt in der antiken Literatur kaum einen zweiten Satz, für dessen Deutung so viel Druckerschwärze vergeudet worden ist, als für diesen.

Diese Meldung von 1902 entspricht den Tatsachen – bis heute. Wir müssen die antiken Schriften wörtlich nehmen. Die Bruckterer wohnten damals zwischen Ems und Lippe.

Tacitus betont in der „Germania“, dass es an den Grenzen ein Stück “wüstes Land” zum Nachbarstamm gegeben habe. Diese „Wüsten“ waren sicher kein brachliegendes Ackerland, sondern unbebaubare Zonen wie Moore und Heide. An der östlichen Grenze der Bructerer bietet sich dafür die damals unbewohnbare SENNE an, die einmal die „WÜSTE SINETHI oder WÜSTE SINEDI“ hieß.

Können Sie sich vorstellen, dass die marschierenden Römer jede Nacht irgendwo den Urwald gerodet hätten, um das obligatorische Nachtlager (Marschlager) aufzuschlagen. Sie werden doch eher das Ackerland eines germanischen Bauern als viel geeigneter angesehen haben.

(E. BURRICHTER, 1973, Q.#57, S.33)
Die überwiegend trockenen und etwas reicheren Sandböden des Buchen-Eichenwaldes (Boden-5) waren die Keimzellen der bäuerlichen Siedlung und dienten der Anlage von Hof- und Ackerland.

Für die Ortsbestimmung dieses Punktes der „äußersten BRUCTERER“ können wir uns auf die „Siedlungsinseln“ stützen, die durch den (für jene Zeit dringend nötigen) bebaubaren Boden bestimmt wurden. Auffällig ist es, dass alle bisher bekannten Römerlager auf Boden-5 lagen, das heißt: auf Ackerland! Nun gibt es auch hier den Boden-5 sowohl am Südrand der Ems von Westerloh bis Ostenland, und auch auf dem Delbrücker Rücken von Westenholz bis Ostenland. Wir können daraus schließen, dass dieser östlichste Punkt Ostenland bewohnt war und er deshalb als letztes Angriffsziel vor der „WÜSTE SINETHI“ in Frage kommt.

Bodenkarte Ostenland (u, clip).jpg

Allein der Name „Ostenland“ macht schon stutzig. Zeigt er doch deutlich den östlichsten Punkt des früher bebaubaren und damit bewohnbaren Landes an.

(G. HENKEL, 1974, zitiert in A. POLLMANN, Q.#895, 1990)
Nach den bisherigen Forschungsergebnissen fand auf den kaiserzeitlichen Siedlungsplätzen in unserem Raum vom 2. bis 6.Jh.nC. ein Abbruch der Siedlungskontinuität statt. Als Grund für diese Beendigung einer Siedlungsepoche werden bisweilen die Römerkriege und vor allem die Feldzüge des GERMANICUS zitiert.

Warum wird jetzt ein neuer Plan ausgeführt?

Die Kriegsgründe für Germanicus: Im ersten Jahr (14nC) war es die Ablenkung der Truppen nach einer Meuterei. Es traf die MARSER. Das Eingreifen der Usipeter, Tubanten, Bructerer war der Anlass für den Sommerfeldzug im Jahr 15nC gegen eben diese Völker von Vetera nordwärts zu den Usipetern und Tubanten (Twente?), dann auf der „Emslinie“ gegen die BRUCTERER. Nun hören wir:

(TACITUS, Annalen I.60 zu 15nC)
[...] bis in die äußersten Teile des BRUCTERER-Landes geführt, nicht weit vom Teutoburgischen Wald, in dem wie es hieß, die Überreste des VARUS und seiner Legionen [immer] noch unbestattet lagen.
(nach Otto PREIN, 1930, Q.#52)
Als bei diesem Vorgehen auch noch Gefangene aus der Varusschlacht befreit wurden, diese von ihren Erlebnissen erzählten, dazu noch berichteten, dass die Gebeine ihrer Kameraden immer noch unbestattet ganz in der Nähe lägen, änderte sich das Wesen dieses Feldzugs noch einmal.

Das Detail „immer noch unbestattet“ konnten ehemalige Flüchtige, die evtl. den Rhein erreichten, nicht wissen. Auf das religiöse Empfinden der Römer hat es so schockierend gewirkt, dass man dieser Meldung sofort nachging.

(Johannes NORKUS, 1963, Q.#940, S.76)
Es ist auch aus Tacitus Annalen I.61 herauszulesen, dass der Marsch zum Varusschlachtfeld ursprünglich nicht im Plan der Heeresleitung gelegen hat.

Indizien zur Suche nach dem Ort der Niederlage

Nach dem Text des V. Paterculus könnte das Lager Anreppen das VARUS-Lager gewesen sein. Könnte diese Aussage plausibel sein?

Leider sind viele antike Aussagen von unseren Wissenschaftlern als lateinische „TOPICA“ (Sammlung von „Gemeinplätzen“) eingestuft worden. Sie scheinen aber gerade hier auf Tatsachen zu beruhen.

Welche Indizien können wir finden für jene Bedingungen, die zwingend zutreffen müssen?

  • Das römische Heer des GERMANICUS ist 15nC bei den äußersten BRUCTERERN.
  • Hier ist das Heer HAUD PROCUL (nahe am) TEUTO BURGIENSI SALTU.
Wie nah ist das?
  • CAECINA wird vorausgeschickt, um Brücken und Dämme über sumpfige Stellen zu bauen.
  • Auch in der Umgebung des Römerlagers soll es Sümpfe geben.
Diese Sümpfe sind zu suchen.
  • Man findet als erstes hier ein 3-Legionen-Römerlager.
  • Im 3-Legionen-Lager gab es nach Tacitus einen halb zerstörten Wall und einen flachen Graben.
Das ist ein wichtiges Indiz.
  • In der Umgebung des Römerlagers gibt es einen “heiligen Hain”, Altäre, SCROBES.
  • In der Umgebung des Römerlagers wird ein TUMULUS errichtet.
  • Es muss einen Platz für die germanischen Besucher des Kultfestes (9nC) geben.
  • Es muss einen Platz für das Marschlager der 8 Legionen des GERMANICUS (15nC) geben.

Bitte prüfen Sie jedes Einzelne der folgenden Indizien auf seine Plausibilität.

Das gilt auch für die Erklärungen der archäologischen Funde.

Wie nah ist HAUD PROCUL bei Tacitus?

(Hermann NEUBOURG, 1887, Q.#239, S.9)
Die Bestimmung HAUD PROCUL fällt schwer ins Gewicht. (...) Offenbar haben die Worte den Wert einer geografischen Bestimmung. Wer denselben verwenden will, hat gewiss die Pflicht, den TACITUS auf HAUD PROCUL hin zu durchblättern. Ich habe für meine Mühe in sofern reichen Lohn geerntet, als eine Kombination der von mir gefundenen Stellen aus den ANNALEN und HISTORIEN das feste Resultat liefert, dass HAUD PROCUL eine Entfernung von höchstens 3 - 4 Stunden, meistens aber eine viel geringere bedeutet.
HAUD PROCUL TEUTOBURGIENSI SALTU (ANNALEN 1.60) das ist unsere
HAUD PROCUL PAGYDA FLUMINE (ANNALEN 3.20) = 3 - 4 Stunden
HAUD PROCUL THEATRO MARCELLI (ANNALEN 3.64) = 3 - 4 Stunden
HAUD PROCUL (ANNALEN 4.47) = 3 - 4 Stunden
HAUD PROCUL APULIS LITORIBUS (ANNALEN 4.71) = 3 - 4 Stunden
GALLUS HAUD PROCUL ASTABAT (ANNALEN 14.5) = 3 - 4 Stunden
HAUD PROCUL TENTORIO EIUS BARBARUS (ANNALEN 14.24) = 3 - 4 Stunden
HAUD PROCUL CASTRIS (HISTORIEN 4.22) = 3 - 4 Stunden
HAUD PROCUL CREMONA (HISTORIEN 2.23) = 3 - 4 Stunden
HAUD PROCUL NOVESIA (HISTORIEN 4.36) = 3 - 4 Stunden
(Walter JOHN, 1963, Q.#65, S.935)
[Nach Neubourg] kann also allerhöchstens 6-8 km von der Marschroute des GERMANICUS entfernt gewesen sein.
(Wilhelm MÜLLER, 1958, Q.#943, S.266)
Wer NEUBOURG [...] darin folgen will [...], wird zugeben, dass es vollkommen absurd ist, das Schlachtgebiet im Osnabrücker Bergland (KNOKE) [...] zu suchen [...].

Noch absurder ist ein Ort wie Kalkriese!

von der Bauerschaft Ostenland wäre bis zum Teutoburger Wald = 20 km Luftlinie.

von der Bauerschaft Ostenland nach Anreppen ist es eine Luftlinie von 6 km = etwa 2 – 3 Stunden Marsch.

TEUTO BURGIENSI SALTU

Haud pcul teuto burgiensi saltu (Mediceus I).jpg

a) TEUTO BURGIENSI SALTU steht im einzigen erhaltenen Text.
Wer daraus SALTUS TEUTOBURGIENSIS macht, würde auch
aus einem Hausschuh ein Schuhhaus,
aus einem Eisenbügel ein Bügeleisen machen.
(Dieter KESTERMANN, 1992, Q.#164, S.105)
b) TEUT ist ungeklärt. Es wird u.a vorgeschlagen: THEOT = deutsch, Volk

Im Deutschen wurde das „th“ im Laufe der Zeit zu „d“.

Das erklärt DETMOLD: 793 THEOTMALLI aus ahd. THIOT = Volk. Aber der TOYT-Hof nahe am Hermannsdenkmal hat nicht diesen Wort-Ursprung.

c) Dieses nur mündlich weitergegebene Wort TEUTO wurde vor der schriftlichen Fixierung durch TACITUS doch genau so, wie er selbst es sprechen würde. Also TOI-TO? Oder doch eher TE-U-TO, so wie heute jedes Wort mit E-U mit beiden Vokalen einzeln in Spanien, in Italien, Kroatien gesprochen wird? Z.B. auch der E-U-RO (!!).

Auch das bekannte Sprichwort wird im italienischen als FUROR TE-U-TONICUS gesprochen.

[Red.: Gut. Was aber soll damit bewiesen werden?]

d) Ist BURG = BORG = Wallburg? Borg ist ein urgermanisches Wort. (vergleiche “verborgen”) Die Germanen nannten auch die Römerfestungen Borg oder „BURG“. Daraus entwickelte sich das Wort für den römischen BURGUS und auch für den deutsche BÜRGER. – Im Begriff BURGIENSI wird mehr stecken, als nur „Burg“. Ein „Kultplatz“ war oft „verborgen“ und hatte ein „Schutzwall“. War ein Kultplatz also auch eine „Burg“?

(Otto PREIN, Pfarrer, 1930, Q.#52, S.98)
e) “SALTARE = springen”, aber auch “waldiges Gebirge”, wie die Pyrenäen SALTUS PYRENAEUS heißen. Neben den Bedeutungen steht nun aber auch: “Ausgang oder Eingang eines Waldes” oder eines engen Passes, z.B. SALTUS THERMOPYLARUM, zweimal bei Livius von den Numidern, die bereits im Walde waren und gern hinaus wollten: PROPIUS SALTUM PAULATIM EVECTI = näher am Ausgange. In diesem Sinne erwähnt Plautius SALTUM OBSEPTUM = einen versperrten Eingang.

Dasselbe Wort SALTUS wird in demselben engen Zusammenhang, an einer anderen Stelle begegnet, wo es nicht denselben Sinn haben kann:

UT OCCULTA SALTUUM SCRUTARETUR = um die dunklen Waldschluchten (??) zu durchforschen.

[Red: SALTUS soll doch auch Ländereien bezeichnen. Soll also (HAUD PROCUL) TEUTO BURGIENSI SALTU danach evtl. "(nahe) den Ländereien der Marktflecken der Eingeborenen" bedeuten? Das wäre dann keine verwertbare Lagebezeichnung.]

Delbrücker Graben, Boker Kanal, Wassmannshof und die Bohlenwege

(Klaus TIBORSKI, 1986, Q.#1245)
Zwischen den Bachläufen und von diesen gespeist, hatten sich sumpfige Flächen, „unregelmäßige Niederungen“, gebildet, zwischen denen sich nur „wenige Fuß höher gelegene, sandige, humose Heidestrecken“ befanden.

In diesem Gebiet gibt es den „Delbrücker Graben“. Einen Hinweis über seinen Zweck oder sein Alter fand ich nicht. Es muss wohl nach 1573 gewesen sein. Wurde er zur Trockenlegung dieser Sümpfe gegraben? – Der Erfolg war durchschlagend. Das gesamte Gebiet wurde so trocken und unbebaubar, dass man ab 1853 versuchte, es mit dem „Boker Kanal“ wieder zu bewässern.

(J.B. NORDHOFF, Historiker, 1898, Q.#170, S.24)
Ferneren Studien sei die Entscheidung darüber vorbehalten, welcher Natur und Entstehung die Moorbrücke ist, die 1,5km östlich von DELBRÜCK im Norden des Haustenbaches [beim Wassmannshof] von Anton Brenken und dessen Söhnen 1870, 1879 [...] mit dem einen oder anderen Reste [...] bloßgelegt.

Jene „Moorbrücke“ zeigte nun sogar genau in die Richtung von „Ostenland“ zum Lager Anreppen ( !! ).

Auch diese Meldungen erhöhen nicht gerade die Zweifel in diese Gegend:

(J.B. NORDHOFF, Historiker, 1898, Q.#170, S.24)
Die Grabungen in der Gemarkung Espeln [...] haben goldene Spangen, Armbänder, Opfermesser zu Tage gefördert, die an das Berliner Museum abgegeben sind.

Espeln liegt auf dem gleichen Höhenrücken, unmittelbar nördlich von Ostenland.

(Stephan BERKE, 1992, Q.#2842, Nr.29)
Eine fast vollständig erhaltene Kragenfibel von 11,3cm Länge. Die Nadel der Fibel ist abgebrochen. Über die Fundumstände der Fibel ist nur bekannt, dass sie aus der Umgebung von Delbrück stammen soll. (Fundverbleib: über Hannover nach Göttingen)
(Stephan BERKE, 1992, Q.#2842, Nr.30)
Weißgelblicher, enghalsiger Krug vom Typ Ha.45. Der Krug wurde zwischen Sande und Delbrück beim Bau des Boker Kanals gefunden. (Fundverbleib: Paderborn)

Die Geografie des Lagers Anreppen

Wie es das Messtischblatt von 2002 zeigt, liegt auch dieses Lager - wie alle anderen röm. Läger - wegen der Drainage auf einem leichten Abhang. Von diesem Lager würden wir doch heute sagen, dass es zwar an der LIPPE liegt, aber sonst doch wohl in einer sehr trockenen Umgebung. Ein Blick auf eine ältere Landkarte (LE COQ, Q.#64, 1802) zeigt jedoch, dass sogar noch zu dieser Zeit an dieser Stelle nur ein schmaler trockener Landstreifen zur Verfügung stand, den das Lager wie auf einer Halbinsel voll belegte.

Im Westen, Nordwesten, Norden, Nordosten finden wir die sicherlich feuchten Uferränder des Stemmekebaches und der LIPPE. Der Osten ist frei. Im Südosten grenzt es an ein kleines Waldgebiet. Im Süden ist ebenfalls der Stemmekebach. Zu dessen beiden Seiten ist das RIETENBRUCH. Im Süden und Südwesten grenzt es an eine Wiese, direkt dahinter ist das BARBRUCH. Flussufer und Brüche sind keine riesigen Sumpfgebiete, aber für einen schwierigen Stand beim Kampf waren sie allemal gut.

Mit Sümpfen ist uns auch die Umgebung des VARUS-Lagers beschrieben worden.

(V.PATERCULUS, Übers Dr.BESTE, Q.#00, S.119, 1922 zu 9nC)
Von Wäldern, Sümpfen, Hinterhalten umschlossen, wurden sie von eben dem Feinde bis zur völligen Vernichtung hingeschlachtet, den sie sonst wie Vieh abgeschlachtet hatten.
(L.A.FLORUS, Übers Dr. BESTE, Q.#00, S.16, 1922 zu 9nC)
Nichts war blutiger als jenes Gemetzel in den Sümpfen und Wäldern.

Wo musste CAECINA den Weg durch die Sümpfe vorbereiten?

(TACITUS, Annalen I.61 zu 15nC)
PRAEMISSO CAECINA, UT OCCULTA SALTUUM SCRUTARETUR PONTESQUE ET AGGERES UMIDO PALUDUM ET FALLACIBUS CAMPIS IMPONERET.
(TACITUS, Ann.I.61, Übers E. HELLER, Q.#04, 2002 zu 15nC)
Vorausgeschickt wurde CAECINA, um das unübersichtliche Waldgebiet [.??.] zu erkunden,

Brücken und Dämme über die feuchten Sümpfe und trügerischen Moorwiesen [.??.] anzulegen.

Was bitte ist eine Moorwiese? Ich habe mich während meiner Suche in den letzten Jahren immer wieder gefragt, wieso fast alle modernen Interpreten die “feuchten Sümpfe und trügerischen Moore” ausschließlich im Bergland zulassen wollen? Sollte es nicht wahrscheinlicher sein, dass sie doch mehr im Flachland anzutreffen sind, nämlich da, wo das Wasser nicht abfließen konnte? Und es muss sich hier um ein Ziel gehandelt haben, das auf wassermeidenden Wegen nicht erreichbar war.

(J.B. NORDHOFF, 1895, Q.#188, S.315, entdeckt 2008)
An der äußersten Grenze des ostbructerischen Mittellandes angelangt, wollte GERMANICUS zur Schädelstätte der Varuslegionen aufmarschieren, allein zwischen dieser und seinem Standorte befand sich ein so schauderhafter Landstrich, dass CAECINA in denselben voraus ziehen musste, um die Walddickichte abzusuchen (OCCULTA SALTUUM SCRUTARETUR) und Brücken und Dämme schlagen.
Gobelin Persona (1410)
[...] Delbrück, welches von allen Seiten von Sümpfen und Gräben umgeben war.

Der Atlas von s’Grootens (1573) bestätigt die Sumpfgebiete nördlich und südlich des „Delbrücker Rückens“.

Brüsseler Atlas von Ch. S'Grooten, 1573.jpg

Die „Stätte der Trauer“

(TACITUS, Annalen I.61, etwa 113nC zu 15nC)
Dann betreten sie die Stätte der Trauer, dem Blick wie der Erinnerung grauenvoll.
(Friedrich KÖHLER, 1926, Q.#601, S.30)
Hätte GERMANICUS zuerst ein Lager von drei unversehrten Legionen und dann, nach einem mehr oder weniger langen Marsch, ein zweites von zusammengeschmolzenen Resten erblickt, so hätte er unterwegs auf die Spuren des Überfalls treffen müssen und TACITUS würde sich die dramatische Steigerung nicht haben entgehen lassen.
(Christian HINDER, 2007, Q.#702)
Der Leser stolpert auf einmal über eine Zeile, in der es heißt, ein zweiter Wall sei in dem Lager gebaut. Dieser Wall wurde nach allem, was man bei TACITUS lesen kann, offensichtlich nur sehr notdürftig erstellt. In aller Eile und unter großem Druck der anstürmenden Germanen, vermutlich auch ohne ordentliches Schanzwerkzeug wurde er gebaut. Die übliche Höhe eines Lagerwalles wird dieser wohl nicht mehr erreicht haben.

2017-08-23 Holz-Erde-Mauer in Haltern.jpg Rekonstruktion einer Holz-Erde-Mauer im Römerlager Haltern (Foto: Winfried Schrödter)

In einem Standlager mit einem massiven Holz-Erde-Pallisaden-Wall ist es selbstverständlich, dass der notdürftige Wall deutlich niedriger sein musste. Es handelt sich schließlich um eine Notlage der „zusammengeschmolzenen Reste“. Diese „notdürftige Verschanzung“ ist ein wichtiges Indiz bei der Suche nach dem Schlachtfeld des VARUS.

Der CAMPUS

(Kurt TACKENBERG, 1958, Q.#1256)
„CAMPUS“ [ist], entgegen bisherigen Deutungen, der Paradeplatz vor dem Zelt des Feldherrn.
(Walter JOHN, 1963, Q.#65, S.938)
Die Worte “PRIMA VARI CASTRA [...] DEIN [...] MEDIO CAMPI” bezeichnen nicht drei mehrere Kilometer voneinander entfernte Punkte des Geländes, sondern führen von der Peripherie, dem AMBITUS des ersten Lagers, zu seiner Mitte. [...] Das heißt also, dass die Notverschanzung des zweiten Lagers [...] innerhalb des Dreilegionenlagers gefunden wurde. [...] Wenn das Lager schon von weitem her “das reguläre Schanzwerk von drei Legionen” sichtbar erkennen ließ, konnte sich unmöglich beim Näher kommen dieser Eindruck als falsch erweisen. Das SEMIRUTO VALLO hätte doch gleich von weitem her die Anlage als einen Notbehelf “sichtbar dargeboten.
MEDIO CAMPI heißt “mitten auf dem Apellplatz”

ebenso wie Verg.Aen.IX.230 CASTRORUM ET CAMPO MEDIO.

Das Tribunal

(C. DIO 56.18–22, Q.# 02 zu 9nC)
Als aber Quintilius VARUS den Oberbefehl über Germanien übernahm und sie zu rasch umformen wollte, indem er ihre Verhältnisse kraft seiner Amtsgewalt regelte, ihnen wie Sklaven Befehle erteilte und Steuern eintrieb, ließen sie sich dies nicht gefallen.
(V. PATERCULUS II.117–119 zu 9nC)
[VARUS] zog die Sommerkampagne hin mit Rechtsprechen und formvollendeter Verhandlungsführung. (...) es kam sogar dahin, dass er glaubte, er spräche als Stadtprätor auf dem Forum Recht und stehe nicht mitten im germanischen Gebiet an der Spitze eines Heeres.
(FLORUS vor 120nC zu 9nC)
Er wagte es, einen CONVENTUS [Landtag] abzuhalten, und er erließ unvorsichtig Vorschriften, als könne er der Gewalttätigkeit der Barbaren durch die Ruten des Liktors und die Stimme des Heroldes Einhalt gebieten.
(Rainer FRIEBE, 2010, Q.#1085, S.91)
[Zur Rechtsprechung:] Das war eine durchaus alltägliche Arbeit, die zu den Pflichten des VARUS zählte.
(Franz CRAMER, 1911, Q.#1117, S.97)
In einer fremden, der Masse unverständlichen Sprache wurde vor römischen Richtern und Sachwaltern verhandelt. Das war schon im Zivilprozess, in Fragen über Mein und Dein, schlimm genug. Noch ärger musste der römische Strafprozess wirken. Strafen wurden verhängt, die dem Volksgemüt völlig unverständlich waren. Ja, man erlebte den Gräuel, dass freie Männer wie elende Sklaven mit Ruten gezüchtigt und kniend mit dem Beile geköpft wurden. Das war unerhört. Eine furchtbare Wut ergriff das Volk. Dazu kam noch etwas anderes: die Steuern. [...] Das Volk begriff den Zweck der Sache durchaus nicht. In Germanien hatte es etwas derartiges eben nicht gegeben.
(Generalmajor HAENICHEN, 1933, Q.#520)
Jedenfalls bestätigen sich FLORUS und V.PATERCULUS gegenseitig, dass VARUS in seinem Lager, der Dauerfestung und Zwingburg, seine Richtertätigkeit ausgeübt hat. [...] So entfällt alle Nötigung, ein „Sommerlager“ anzunehmen, das PRIMA VARI CASTRA des Tacitus war die Dauerfestung.

Wer hat überhaupt den Begriff „Sommerlager“ geprägt? Das steht bei keinem der antiken Autoren. Das hört sich immer nach „Zeltlager“ an. Zur Demonstration römischer Überlegenheit ist die Repräsentation in einem „festen“ Lager doch wesentlich eindrucksvoller als in einem Zeltlager!

(TACITUS, Annalen I.61 zu 15nC)
QUO TRIBUNALI CONTIONATUS ARMINIUS

Das TRIBUNAL, von dem aus ARMINIUS sprach

Elf von zwölf Übersetzungen sind an dieser Stelle so vom Marschroman des C.DIO beeinflusst, dass selbst Vertreter der Variante „Überfall auf das Sommerlager“ nur einen Erdhügel, eine Erhöhung, bestenfalls noch ein Podium, sogar eine Tribüne zulassen. Auf das nahe liegende kam bisher nur einer.

ARMINIUS stand selbstverständlich auf dem Gerichtsstuhl des VARUS, um die gefangenen Römer zu verhöhnen. Ein Vergleich mit dem Text des L.A.FLORUS lässt kaum eine andere Deutung zu.

(FLORUS nach H.A. ERHARD, Q.#07, S.14, 1847 zu 9nC)
QUUM ILLE – O SECURITAS – AD TRIBUNAL CITARET, UNDIQUE INVADUNT, CASTRA RAPIUNT, TRES LEGIONES OPPRIMUNTUR.
(FLORUS, Übers H. RITTER, Q.#38, S.33, 1988 zu 9nC)
Als er sie – o Sicherheit – vor sein TRIBUNAL zitierte, brechen sie von allen Seiten herein. Das Lager wird gerissen, drei Legionen werden vernichtet.
(Walter JOHN, 1963, Q.#65, S.940)
Das TRIBUNAL, von dem aus ARMINIUS gesprochen hatte, war offenbar das TRIBUNAL des ursprünglichen Dreilegionenlagers.

Trotz dieser Feststellung hält W. JOHN nach wie vor an der Version “erstes Marschlager” fest. (Um sich nicht den Anfeindungen seiner „Fachkollegen“ auszusetzen?) Aber – gibt es im Marschlager ein TRIBUNAL? Gerade die Aussage des TACITUS ist eine Bestätigung für FLORUS, der doch von Th. MOMMSEN und W.JOHN wegen der „Unmöglichkeit“ des Textes abgelehnt wird.

Jenes so verhasste TRIBUNAL gab es nur im festen Lager. Diese Ansprache von jenem TRIBUNAL schließt damit eine negative Wirkung auf die Kampfmoral der Römer ein. Sie müssen sich gerade bei dieser Ansprache verhöhnt gefühlt haben.

Da dies ein römischer ehemaliger Gefangener berichtete, kann es nur heißen: “zum römischen Heer gesprochen”. Das konnte das nur jemand sein, der Latein sprach – in der Tat kommt nur ARMINIUS dafür in Frage.

Gibt es archäologische Indizien für ein Schlachtfeld?

Die Suche nach dem Varusschlachtfeld wird oft vom gut gemeinten Rat begleitet, doch vermehrt nach „Militaria“ im Boden zu suchen. Einen guten Vergleich dazu bietet jenes Schlachtfeld bei GELDUBA (heute Gellep am Rhein), dessen Ort den Archäologen bereits aus der Literatur bekannt war. Man fand ausgesprochen wenig. Denn alles, was auf der Erdoberfläche lag, war längst aufgelesen worden.

Auch die Mehrzahl der Funde in Kalkriese stammt aus dem Versturz einer umgekippten Rasensodenmauer, unter dem die Funde begraben waren oder aus ehemals sumpfigen Stellen, wo sie dem Blick von antiken und auch späteren „Schatzsuchern“ verborgen geblieben sind.

Es ist auch sehr fraglich, wie weit die Funde überhaupt etwas über einen Kampf aussagen können. Ein festes Römerlager hatte mehrere Besonderheiten: der Boden war steinhart, was hinunter fiel, blieb auf der Oberfläche liegen. Dort wurde jedes Metallteil selbstverständlich von den Germanen sofort aufgesammelt, denn Metall hatte einen sehr hohen Wert. Danach haben auch noch die römischen Legionäre neben den gefundenen Knochen auch andere Dinge von der Oberfläche beseitigt. Damit bleiben für die Archäologen nur solche Funde, die sofort in den Boden gelangt sind. Dazu gehören die beim Glücksspiel verlorenen Münzen, die durch die Bodenbretter der Baracken in den weicheren Boden gefallen sind, die Inhalte von Brunnen und Abfallgruben.

Spuren einer Schlacht sind auch deswegen kaum zu erwarten, weil die gesamte Oberfläche des Areals durch spätere Hochwasser regelrecht „abgeschwemmt“ wurde. Sogar die großen Wälle und Lagergräben im Nordosten und im Westen sind nicht mehr vorhanden.

Es ist immer noch nicht klar, was eigentlich alles in Anreppen gefunden wurde, denn die offizielle Veröffentlichung steht immer noch aus. Viele der bisherigen Informations-Fragmente stammen aus zweiter oder dritter Hand.

Trotz allem gibt es für Anreppen Hinweise, die uns stutzig machen sollten:

Brandspuren und ein Paket mit Nägeln

(J.S. KÜHLBORN, 1995, Q.#299, S.143)
(1) Neben Legionssoldaten müssen aber auch Auxiliarverbände im Lager stationiert gewesen sein, wie Funde dreiflügeliger Pfeilspitzen vermuten lassen.

Bei einer Ausgrabung geht es ausschließlich um Bodenfunde. Wie sollten die Pfeilspitzen in den Boden gekommen sein? Dass Münzen beim Spiel verloren gehen, kann ich mir vorstellen, denn sie sind klein und konnten im Gras oder unter den Bodenbrettern der Baracken übersehen werden. Rückfrage beim LWL Münster:

(Vera BRIESKE, Altertumskommission, 2010-01-15, Q.#405)
Sie wurden im normalen Lagerbetrieb genutzt, z.B. beim „Übungsschießen“ in einer ruhigen Ecke.

Kein Soldat „verliert“ während des normalen Lagerlebens seine Waffe im Boden, auch nicht beim „Übungsschießen“. Selbst wenn der Pfeil im Schlamm steckt, wird man ihn wieder herausziehen. Sollten diese Pfeilspitzen nicht eher auf Kampfhandlungen schließen lassen?

(J.S. KÜHLBORN, 2009, Q.#822, S.33)
(2) Beim Abzug überließ das römische Militär eine derartige Festung nicht unversehrt dem Gegner. Die Grabungen haben erwiesen, dass zahlreiche Lagergebäude am Ende durch Feuer zerstört wurden.

Heißt das: nicht alle Gebäude wurden durch Feuer zerstört? Das passt aber nun überhaupt nicht zu einem geregelten römischen Abzug.

(Bettina TREMMEL, 2008, Q.#1269, S.157)
Trotz nachgewiesener Brandspuren [...] sind verkohlte Materialien – man denke z.B. an Getreidereste aus innerhalb der Speicherstadt gelegenen Befunden – nicht überliefert.

Wir haben hier aber keinen geregelten Abzug. Getreide hätte ich als Germane auch nicht verbrannt, sondern als willkommene Beute mitgenommen.

(J.S. KÜHLBORN, 2009, Q.#822, S.33)
(3) Wahrscheinlich sind mit diesem Ereignis auch mehrere Klumpen unzähliger zusammengebackener [oxydierter] Eisennägel zu verbinden. Sie fanden sich am Grund eines Brunnens [beim Militärbad] und waren dort absichtlich versenkt worden. Eine solche Vorgehensweise ist archäologisch auch anderenorts nachweisbar. Man entlastete sich anlässlich der regulären Räumung des Lagers und hinterließ auf diese Weise der einheimischen Bevölkerung kein Eisen zum Schmieden von Waffen.

Ist das wirklich die einzige Möglichkeit der Interpretation eines regulären Abzugs? Gerade die Archäologie kennt viele weitere Situationen, wo Gegenstände in Brunnen verloren gegangen sind. Wenn man sich versuchsweise eines Kampf inmitten dieses Lagers vorstellt, wie wäre es mit diesen Gedanken: Beim Beginn der Kämpfe warf ein Römer das Paket mit Nägeln weg, um die Hände frei für seine Waffen zu bekommen. Und dieser Römer stand gerade neben dem Brunnen.

Oder – ein Germane hat das Paket mit den wertvollen Nägeln erbeutet und wurde von einem Römer daran gehindert, es wegzutragen. Der Römer warf es daraufhin in den Brunnen.

Das alles passt nicht unbedingt zu einem geregelten römischen Abzug.

Es gibt noch ein Indiz, das Urteil eines pensionierten Lehrers:

(Heinz RITTER-SCHAUMBURG, 1988, Q.#38, S.30)
Man wundert sich nur darüber, dass nach sechs Jahren nicht längst alles mit Gras, Unkraut und Büschen überwachsen war. Dafür könnte es allerdings eine Erklärung geben. Wenn nämlich dieser Platz wirklich das Sommerlager des VARUS war, dann war der Boden [...] von Tausenden von Soldatenfüßen festgetreten worden, und zwar nicht wie bei Schulhöfen täglich nur ein paar Viertelstunden lang, sondern [...] vom Morgen bis zum Abend.

Der Boden musste steinhart sein. [...] Damit wäre wiederum bestätigt, dass es sich tatsächlich um das Sommerlager des VARUS handelte, denn ein Marschlager musste in dieser Zeit längst überwuchert sein.

Delbrück-Anreppen aus Q.122(2007).jpg

Was bedeutet die „Einziehung“ im Nordosten des Lagers

(J.S. KÜHLBORN, Archäologe, 1995, Q.#299, S.130)
Anton DOMS, dem Ausgräber, gelang bis Anfang der achtziger Jahre die Festlegung der Lagergrenzen. Im Verlauf der nördlichen Lagerfront stieß er auf eine annähernd halbkreisförmige, etwa 90m tiefe und 140m breite Einziehung, deren Zustandekommen unklarer Natur ist. Manche meinen in dieser Einziehung einen ausgebauten Flusshafen sehen zu können und denken dabei an die sog. Uferkastelle von Haltern mit ihren acht Schiffshäusern. Doch der Ausgräber verneinte wiederholt diese Möglichkeit in mündlicher Diskussion entschieden.

Der Ausgräber hat sehr plausible Gründe gehabt, einen Hafen an dieser Stelle „entschieden“ abzulehnen. Da wir jetzt wissen, dass der „Hafen“ eher an der Südseite des Lagers gelegen hat, ist eine andere Erklärung für die „Einziehung“ zu suchen.

Könnte es sich hier um jenen von TACITUS erwähnten „niedrigen Wall und flachen Graben“ handeln?

Das ursprüngliche Lager des VARUS zeigte durch den weiten Umfang und die Ausmaße des Apellplatzes die Arbeit dreier Legionen. Ferner erkannte man am halb zerstörten Wall, am flachen Graben, dass die schon angeschlagenen Reste sich [hier] festgesetzt hatten.

Der kleinere Lagergraben der „Einziehung“ liegt hart neben den massiven Speicherhäusern (11) in einem wohl weniger massiv bebauten Lagerteil.

Hier ist zu sehen, dass dieser Graben kein Teil des großen Lagergrabens ist, es fehlt ihm die VIA SAGULARIS, die Straße innerhalb des Walles. In der Zeichnung des A. DOMS (Q.#822) sieht man deutliche Größenunterschiede zwischen diesem 1978 ergrabenen „Graben“ und dem „großen“ Lagergraben.

Für „Wall und Graben der Einziehung“ in der von Anton DOMS gezeichneten Reihenfolge ist der Gedanke zu diskutieren, dass sie in der „falschen“ Reihenfolge liegen. Es wäre doch möglich, dass die „schon angeschlagenen Reste“ der Legionen ohne ihre Führer, also ohne gewohnte Kommandostrukturen, unter dauernder feindlicher Bedrängung, am Ende des ersten Kampftages, wahrscheinlich schon bei Dunkelheit nicht mehr in der Lage waren, den Graben „außerhalb“ des notdürftigen Walles zu errichten. (Sonnenuntergang ist in Anreppen am 23.09. gegen 17:52 Uhr UTC, 18:26 Uhr MOZ)

Sie hätten in diesem Fall dem Feind den Rücken zukehren müssen. Fragen wir uns einmal ehrlich: wären wir ein solches Wagnis eingegangen? Da allerdings der Wall bestätigt wird, wäre zu fragen: nahm man die Erde für seinen Aufbau dann von der Innenseite des notdürftigen Lagers?

Auch wenn dieser Gedanke von allen Fachleuten abgelehnt wird: für mich wäre ein Wall, bestückt mit Schanzpfählen zum nächtlichen Schutz, wichtiger, als der Graben, der in diesem Fall wohl an der „falschen“ Seite des Walles war. Auch TACITUS weist besonders darauf hin, dass es sich bei diesem Wall und Graben nicht um den üblichen „feldmarschmäßigen“ tiefen Spitzgraben gehandelt hat:

(TACITUS, Annalen I.61 zu 15nC)
Ferner erkannte man am halb zerstörten Wall, am flachen Graben, (HUMILI FOSSA) dass die schon angeschlagenen Reste sich [hier] festgesetzt hatten.

War es nicht bei den Römern üblich, die Lagerbefestigung immer in einer Sicht von außen nach innen mit FOSSA VALLUMQUE zu bezeichnen? Doch hier steht: SEMIRUTO VALLO, HUMILI FOSSA. Damit sagt TACITUS hier deutlich:

Der flache Graben war aus der Sicht der jetzt dorthin gehenden Besucher hinter dem Wall. ( ! )

Damit bot der an sich zu niedrige Wall immerhin denjenigen Soldaten Schutz, die im Graben selber standen, ob sie nun da schanzten oder kämpften.

Der Rückzug nach dem ersten Kampftag und die Köpfe der Getöteten

Die Entscheidung „Kampf oder Kapitulation“, die dann CEIONIUS zu treffen hatte, fiel aber wohl erst am nächsten Morgen nach einem weiteren Ereignis:

(FRONTINUS 2.9.4 zu 9nC, Übers D.KESTERMANN, Q.#164)
ARMINIUS, ein Führer der Germanen befahl, die Köpfe derer, die getötet waren, aufgesteckt an den Wall der Feinde (AD VALLUM HOSTIUM) zu bringen.

Was konnte der schon verletzte VARUS bis zu diesem Zeitpunkt über den Zustand seines Heeres wissen?

Wo VARUS den Tod fand

(TACITUS Annalen I.61 zu 15nC)
Es ist doch sehr wahrscheinlich, dass VARUS erst nach dieser Demonstration, nachdem er selbst sah, dass alle seine Unterführer tot waren, zur Einsicht kam: „Es macht keinen Sinn mehr, weiter zu kämpfen!“
(L.A.FLORUS 2.30.35, Übers F. BESTE, Q.#589, S.80, 1922 zu 9nC)
VARUS PERDI(ta) CASTRA EODEM QUO CANNENSEM DIEM PAULLUS ET FATO EST ET ANIMO SECUTUS.

VARUS ließ sich nach dem Verlust des Lagers von der selben Gesinnung und demselben Verhängnis leiten, wie PAULLUS in der Schlacht von CANNAE.

(L.A.FLORUS 2.30.35, Übers D. KESTERMANN, Q.#164, 1992 zu 9nC)
Mit dem Verlust des Lagers hatte VARUS das gleiche Schicksal wie PAULLUS bei CANNAE und folgte ihm nach (durch Selbstmord).
Der Vergleich mit Paullus zeigt deutlich, dass der Verlust des Lagers die Ursache für den Selbstmord des VARUS war und nicht eine verlorene Schlacht, wie es für das Marschgefecht nach C.Dio stets behauptet wird.

Das Verbrennen der VARUS-Leiche

Dann wurde noch versucht, den toten Feldherrn nach römischer Sitte zu verbrennen.

Wie soll man sich das Verbrennen der Leiche bei einem Marschgefecht vorstellen? Man hätte doch in einem improvisierten kleineren Lager sicher nicht noch einen Scheiterhaufen aufgebaut, bevor man sich dem Feind ergab.

Bei einem Kampf im Lager wäre allerdings zu erwarten, dass es noch ein so großes Feuer gab. Es ist kaum plausibel, die Leiche des VARUS sei in einem brennenden Gebäude nur halb verbrannt, danach zerfleischt worden. Auf dieses Wort „zerfleischt“ beziehen sich wohl diese Zitate:

(V. PATERCULUS II.119 zu 9nC)
VARI CORPUS SEMIUSTUM HOSTILIS LACERAVERAT FERITAS

Selbst die Leiche des VARUS, die halb verbrannt war, hatte die Rohheit des Feindes zerfleischt.

Sein Kopf wurde abgehauen und dem Marbod überbracht, von diesem jedoch an den Kaiser gesandt.

(FLORUS II.30, lebte um 100 nC zu 9nC)
Auch die Leiche des Konsuls selbst, die die Pietät der Soldaten in der Erde verborgen hatte, wurde ausgegraben.

Die Kapitulation

Erst nach dem Tod des Varus war der Lagerpräfekt CEIONIUS der oberste Befehlshaber. Erst jetzt war er als Lagerkommandant zuständig für diese Entscheidung: „Es macht keinen Sinn mehr, weiter zu kämpfen!“ Erst jetzt kam es zur Kapitulation. Darauf wurde auch CEIONIUS von den Germanen hingerichtet.

V. PATERCULUS II.117-119 zu 9nC)
[...] gab CEIONIUS ein ebenso schmähliches [Beispiel]: als der größte Teil des Heeres gefallen war, zog er es vor, zu kapitulieren und, statt im Kampf zu fallen, sich hinrichten zu lassen.

Es ist wieder von einem „schmählichen Beispiel“ die Rede. Und es handelt sich ganz klar um ein Lager!

V.PATERCULUS scheint der Meinung zu sein, der Lagerkommandant hätte das Wagnis des Ausbruchs eingehen sollen. Er war nicht dabei. Zum Zeitpunkt seiner Niederschrift saß er warm und trocken am Schreibtisch. Von dort kann man eine solche Kritik leicht aussprechen.

Die „Überlebenden“ und ihre Berichte

(C. DIO 56.22 zu 9nC, Übers W. CAPELLE, Q.#02)
Es wurden in der Folgezeit auch einige Gefangene [aus der Gewalt der Germanen] wieder eingebracht, die von ihren Angehörigen losgekauft waren. Es war diesen gestattet worden, dies unter der Bedingung zu tun, dass die Losgekauften den Boden Italiens nicht wieder betreten.

Nur diese letzten Reste der Varuslegionen konnten unversehrt in die Gefangenschaft der Germanen kommen. – Nur diesen konnte der Vorwurf der „Schmach“ gemacht werden, wegen der sie nicht nach Italien zurückkehren durften. – Hier sind auch jene Legionäre in die Gefangenschaft der Germanen gekommen, die sechs Jahre später dem GERMANICUS die Ereignisse so haarklein berichten konnten.

(TACITUS Annalen I.61 zu 15nC)
Männer, die die Niederlage überlebt, dem Kampf oder [und?] der Gefangenschaft entkommen waren, berichteten,
  • hier seien die Legaten gefallen,
  • dort seien die Legionsadler erbeutet worden,
  • wo VARUS die erste Wunde erhalten,
  • wo er durch einen mit unseliger Hand selbst geführten Stoß den Tod gefunden habe,
  • vom TRIBUNAL, von dem ARMINIUS zu dem versammelten Heer gesprochen,
  • wieviel Kreuzbalken für die Gefangenen,
  • welche Gruben (SCROBES) er habe machen lassen,
  • und wie er im Übermut die Feldzeichen und Adler verspottet habe.
(Peter Oppitz, 2006, Q.#332)
„Hier und dort“ sagen die Überlebenden wörtlich, sie stehen also unmittelbar am Ort des Geschehens.

Sie sagen nicht, dass VARUS zwischen der ersten Wunde und seinem Tod noch marschiert wäre.

Man muss den Tacitus schon wörtlich nehmen!

Warum wohl durften diese befreiten Gefangenen „den Boden Italiens nicht wieder betreten“?

Weil sie anderes berichtet hätten, als die offizielle Veröffentlichung der obersten Heeresleitung?

Und diese Veröffentlichung ist dann nach 200 Jahren in den Marschroman des C. Dio eingeflossen.

Kreuzbalken und Köpfgruben

(TACITUS, Annalen I.61)
QUOT PATIBULA CAPTIVIS, QUAE SCROBES [...]

Welche Kreuzbalken und welche Köpfgruben [...]

(Paul HÖFER, 1888, Q.#491, S.214ff)
Dieselben Kreuzbalken und Köpfgruben, an welche VARUS so oft die Germanen geschickt hatte, wurden jetzt für die schuldig befundenen Römer bestimmt. [...] Die Strafen, welche verhängt wurden, hatten die Germanen zum Teil erst von den Römern gelernt. Das PATIBULUM war der Querbalken, an welchem Deliquenten gekreuzigt wurden. [...] Die Gruben SCROBES dienten zum Köpfen. Wie man aus Annalen XV.67 deutlich sieht, musste der Verurteilte in die Grube treten, damit der Vollstrecker wuchtiger zuschlagen konnte. [...] Was damals nach dem Sieg der Germanen geschah, war nichts anderes, als was die Römer nach Besiegung solcher Völker unternahmen, welche sich die römische Unterjochung nicht gefallen lassen wollten.

Das bedeutet, dass die Germanen die Gefangenen nicht alle töteten, sonst hätte niemand dem Germanicus die Einzelheiten berichten können. Römische „Siegesmeldungen“ klingen dagegen ganz anders, z.B.:

(TACITUS, Annalen I.51 zu 14nC)
Kein Geschlecht, kein Alter durfte auf Schonung rechnen. Ob Menschen gehörend oder den Göttern geweiht, alles wurde dem Erdboden gleich gemacht. [...] Unsere Soldaten blieben ohne Verluste, da sie es ja nur mit Halbschlafenden, Unbewaffneten oder einzeln Umherirrenden zu tun gehabt hatten.
(Wilm BREPOHL, 2001, Q.#32, S.133)
Es ist auffallend, dass viele Übersetzungen darauf abzielen, den sakralen Hintergrund der Schlachtbeschreibung zu verdrängen. So ist von der Erhöhung oder vom Hügel die Rede, von wo aus ARMINIUS [...] sprach. Es ist von Erdlöchern statt von [...] Opfergruben die Rede [...].

Diese Opfergruben würden einen erstklassigen archäologischen Beweis für den Ort der Niederlage liefern, allerdings wohl nicht jene Gruben, die in Kalkriese gefunden wurden. Dazu Albert Bömer:

(Albert BÖMER, 2009, Q.#816)
Menschliche Gebeine gemeinsam mit Maultierknochen zu begraben, entsprach nicht einem pietätvollen Bestattungsritus für gefallene Legionäre. Gab es in Kalkriese ein anderes Schlachtereignis, bei dem gefallene Römer auch noch Jahre danach unbestattet herumlagen, so ist es möglich, dass sie später, von wem auch immer, auf diese Art bestattet oder auch nur entsorgt wurden.

Der Tumulus und seine Zerstörung

(TACITUS, Annalen I.62 zu 15nC)
So bestattete das römische Heer [...] die Gebeine der drei Legionen. [...] Das erste Rasenstück zur Errichtung des TUMULUS legte der Caesar [Germanicus] hin.

Dieses Massengrab wurde nach dem Zeugnis von TACITUS Annalen II.7 sofort von den Germanen zerstört.

Die Reste des TUMULUS wären ein wertvolles Bodendenkmal. Da er zerstört wurde, ist eine Diskussion seiner notwendigen Größe und seiner möglichen Lage völlig unnötig.

Warum wurde der Grabhügel zerstört?

(Karlheinz ECKARDT, 2000, Q.#1090, S.115)
Das Errichten eines – fremden Gottheiten geweihten – Grabmales [...] musste von den Germanen als Schändung des zur heiligen Stätte gewordenen Schlachtfeldes aufgefasst werden, der Grabhügel musste deshalb entweiht und zerstört werden.
(Michael Zelle, 2008, Q.#1062)
Die gesamte Szenerie macht den Eindruck, es handele sich bei dem Schlachtfeld um eine sakrosankte Zone der Germanen. Nach einer ersten Plünderung scheint alles aus religiösen Motiven heraus unangetastet geblieben zu sein.

Diese Schilderung [des Tacitus] ist sehr knapp gehalten und lässt viele Schritte eines regelrechten FUNUS TRANSLATICUM bzw. MILITARE aus. Dies beinhaltete eine festgelegte Reihenfolge von Riten, die es nach römischer Auffassung erst ermöglichte, dass die Toten ihre Ruhe fanden. Nichts spricht dafür, dass GERMANICUS, der mit einer großen Heeresmacht vor Ort war, eine hastige Notbestattung vornahm. Im Gegenteil, neben der Einhaltung religiöser Vorschriften dürfte er gewillt gewesen sein, die Macht Roms zu demonstrieren, sich selbst als fromm und pflichtbewusst darzustellen, das Selbstbewusstsein der eigenen Truppen vor Ort zu stärken und den Gegner einzuschüchtern.

Der verkürzte Bericht des Begräbnisses führte dazu, dass bei Vielen heute die Vorstellung vorherrscht, dieser Akt habe allein aus dem Zusammentragen der Knochen und deren Deponierung in einem Grabhügel bestanden, im strenge Sinne also eine Körperbestattung vorgenommen worden sei. Dies ist aber wenig wahrscheinlich, da die übliche damalige Bestattungsform der Römer die Brandbestattung gewesen ist. Tacitus spricht diesbezüglich ausdrücklich vom ROMANUS MOS. Aus diesem Grund müssen wir annehmen, dass auch GERMANICUS die Gefallenen den aktuellen Sitten entsprechend hat verbrennen lassen. Tacitus erwähnt in der oben genannten Stelle zum Begräbnis auf dem Varusschlachtfeld explizit das Bedecken der Knochen mit Erde. Auf den Zustand der Knochen, ob verbrannt oder nicht, geht er nicht ein. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass die Verbrennung zu selbstverständlich und damit für den römischen Leser nicht erwähnenswert war. Der bei Tacitus geschilderte eigentliche Akt des Begrabens ist laut M. TULLIUS CICERO (DE LEGIBUS II.22.57) dagegen notwendig, um dem Ort der Bestattung eine religiöse Aura zu geben und ihn zu einem echten Grabmal zu machen.

Sakrosankte Zone

(TACITUS, Annalen I.61 zu 15nC)
LUCIS PROPINQUIS BARBARAE ARAE [...]

In Hainen in der Nähe standen die Altäre der Barbaren [...]

Wieso sollte ein „Marschlager“ des VARUS zufällig bei einem heiligen Hain aufgeschlagen worden sein? „Hain“ heißt zwingend „Bäume“. Da bei einem Kampf im Lager dort jedenfalls keine Bäume zu erwarten sind, müssen diese in der Nähe des Lagers gewesen sein. Genau so sagt es Tacitus.

Für der richtigen Ortes für die Niederlage wäre der Nachweis eines „heiligen Hains“ nötig.

Eine solche „heilige Stätte“ wurde auch bei den Germanen zum „Wallfahrtsort“, wurde auch nach Jahrhunderten verehrt, und für diesen „Wallfahrtsort“ ist nach der These „Kultortkontinuität“ ein Weiterleben auch in christlicher Zeit zu erwarten.

Zu germanischen Heiligtümern und christlichen „Urkirchen“

(Papst GREGOR der Große (590 – 604)
Erstens muss man nicht die Tempel der Götzen zerstören, sondern die Götzen. Man mache Weihwasser und besprenge damit die Tempel. Man errichte Altäre und lege Reliquien hinein. Sind die Tempel gut gebaut, so entziehe man sie dem Dienst der Götzen dadurch, dass man sie zu christlichen Tempeln umweihe und zwar aus dem Grunde, damit dieses heidnische Volk desto williger an die gewohnten Anbetungsstätten komme.

Zweitens, weil die Völker ihren Götzen noch viele Stiere zu opfern gewohnt sind, so ist es geboten, ihnen diese Feierlichkeit zu belassen, nur muss man derselben einen christlichen Sinn unterlegen. Und so sollen sie am Tage der Kirchweih und an den Gedächtnistagen der heiligen Märtyrer, deren Reliquien zur Schau zu stellen sind, sich aus Baumzweigen Hütten rings um diejenigen Kirchen herrichten, welche aus Götzentempeln umgeweiht werden und sollen so diese Feierlichkeit beim christlichen Mahle begehen, so dem heidnischen Götzen keine Tieropfer mehr darbringen, vielmehr Behufs der Sättigung, Gott zum Lobe, Tiere schlachten und dem Geber aller guten Gaben für die Speisen danken.

Diesen Menschen muss man einige äußerliche Freuden lassen, damit sie desto leichter zu den inneren Freuden hingeführt werden, denn es unterliegt keinem Zweifel, dass es unmöglich ist, diesen harten Gemütern auf einmal alles wegzunehmen, und zwar deshalb, weil derjenige, welcher einen hohen Standpunkt zu gewinnen bemüht ist, dies nur schritt-, nicht sprunghaft erreicht.

Das Weiterleben des germanischen „Heiligtums“

Diese Anweisung des Papstes aus dem 7.Jh. galt sicher auch noch zur Zeit der Christianisierung der Sachsen, also zu der Zeit, als hier die germanischen Heiligtümer überbaut wurden. In der Nähe des Lagers Anreppen, auf der anderen Seite der Lippe, liegt das Dorf Kirchboke.

(Ludwig HÖLZERMANN, 1870, Q.#49, S.73)
Dass man diesem Platz eine hervorragende Bedeutung beilegte, beweist der Umstand, dass BADURAD, der zweite Bischof von Paderborn sich [836] veranlasst fand, die Gebeine des heiligen LANDELINUS extra von CAMBRAY [Frankreich] herüber zu holen und in Boke beisetzen zu lassen.
(Josef TÖNSMEYER, 1968, Q.#570, S.38)
„Reliquien von Heiligen wurden in den ersten Jahrhunderten des Christentums nur nach bedeutenden Orten gebracht.“ (W.E.GIEFERS) Diese germanische Kultstätte Boke wurde dann bei der Einführung des Christentums zu einem wichtigen Stützpunkt der christlichen Lehre umgeschaffen. „An der Opferstätte des Gaues entstand die Taufkapelle, die sich meist zur Gaukirche auswuchs“ (A. BRAND, Die altsächsische Edelherrschaft Lippe-Störmede-Boke, S.24)

Die Lagerplätze für die Besucher des Kultfestes

Das von uns konstatierte Kultfest erfordert zwingend eine Lagermöglichkeit für seine Besucher.

In Kirchboke hat Hölzermann [1870] die Wälle von 4 Lagern gefunden, die keine römischen sein können, sondern seiner Meinung nach von Germanen geschaffen wurden.

Umgegend von Kirch- und Ringboke von Hölzermann.jpg

Für jeden Stamm der Kultgruppe Rhein-Weser-Germanen: CHERUSCI, MARSI, BRUCTERI, CHATTI, stand ein eigener Lagerplatz zur Verfügung.

Carl SCHUCHHARDT „definierte“ 1895 (Q.#498, 1899) jene Wälle bei einer kurzen Besichtigung ohne Grabung zu „natürlichen Dünen“. Und bei dieser „Definition“ blieb es bis heute. Er „definierte“ auch Hedemünden als „sächsisches Lager“, das sich heute als Römerlager der Drususzeit erweist. Und den Angrivarierwall bei Leese statt des Angrivarierdammes. Jeder Mensch kann sich irren.

Duiveskämpe

Diese alten Wälle hießen Diebeskämpe, früher „DUIVESKÄMPE“. Allein der Name DUIVESKÄMPE macht schon stutzig.

Mit „Teufels“-Bezeichnungen wurden zu Beginn des Christentums alle jede Dinge umschrieben, die der „heidnischen“ Vergangenheit entstammten.

Das Wort „Teufel“ entstand aus „Diabolo“. Steckt vielleicht in DUIVESKÄMPE noch ein Anklang an das von Tacitus genannte und bisher unerklärbare Wort „TE-UTO“? Wurde dieses Wort erst wegen des ähnlichen Klanges im Laufe vieler Jahrhunderte zu DI-ABOLO (Teufel) und damit zu DUIVESKÄMPE?

Auch die Funde von römischen Münzen späterer Zeit sprechen nicht gerade für einen „unwichtigen“ Ort:

(B. KORZUS, 1971, Q.#251, S.122f)
1 As des Domitian (81-96nC), 1 Denar für Faustina-2 (-175nC), 1 Follis des Constantin-1 (306-337nC)

Die Lagerplätze für das römische Heer 15nC

Ein möglicher Hinweis ist evtl. im Flurnamen „Herfeld“ erhalten. In einer späteren Landkarte wurde daraus ein „Herzfeld“.

Projektplan Graben bei Delbrück.jpg

Antike Namen

Auch die Daten des Ptolemaios können in diesem Zusammenhang als Indizien verwendet werden:

Das Heer des Germanicus ist 15nC für den Nachschub auf die Ems angewiesen. Er nutzt diesen Wasserweg bis zum Schifffahrtsende. Ptolemaios zeigt hier ausgehend von VETERA bei Xanten ein CAPUT AMISIA ohne Ortsnamen:

PTOLEMAIOS moderne Karte Differenzen
VETERA (Birten) (B=51°50, L=27°30, unkorrigiert) 51°50 27°30 51°39 06°28
CAPUT AMISIA (B=52°00, L=30°05, unkorrigiert) 52°00 30°05
Unterschied (diesen *0,8 wg. der Erdgröße) 00°10 02°35 00°08 02°04
51°47 08°32
Rietberg/Ems 51°48 08°26

Das Schifffahrtsende der Lippe ist mit einem Namen bezeichnet. Der Name BOGADION ist im heutigen Namen Boke noch zu erkennen.

PTOLEMAIOS moderne Karte Differenzen
VETERA (Birten) (B=51°50, L=27°30, unkorrigiert) 51°50 27°30 51°39 06°28
2-BOGADION (X) (B=52°00, L=30°15, unkorrigiert) 52°00 30°15
Unterschied (diesen *0,8 wg. der Erdgröße) 00°10 02°45 00°08 02°12
51°47 08°40
Zum Vergleich: KIRCHBOKE (1101 BOCA, 1120 BOKA) 51°44 08°34 0°03 0°06
Römerlager Anreppen 51°46 08°35 0°01 0°05
(Alwin LONKE, 1946, Q.#711)
Die Varusschlacht ist für die deutschen Gelehrten ein weit größeres Unglück geworden als für die Römer.
(Daniel BERENGER, 09.03.2004, Q.#617)
Rom ist damals mit der Schlacht ganz anders umgegangen. Die Feststellung der Niederlage reichte. Der Ort war egal, denn keiner wollte an den Schauplatz der Schmach.

Alle bisherigen Erklärungsversuche scheiterten an Vorurteilen, die auf Autoritätsglauben fußen.

(G.A.B. SCHIERENBERG, 1875, Q.#1367)
Denn der Autoritätsglaube ist groß und wurzelt großen Teils in [...] der Trägheit oder der Denkfaulheit, weil man es gar bequem findet, Anderen die Denkarbeit zu überlassen, und die Resultate ihrer Arbeit als fertige Münze von anerkannter Gültigkeit einzustecken.

Welche Schlacht war bei Kalkriese?

(TACITUS: Annalen I.63)
GERMANICUS zog dem ARMINIUS nach, der in unwegsames Gelände entwich. Sobald er an ihn herankam, gab er der Reiterei den Befehl, auszuschwärmen und eine vom Feind besetzte Ebene zu nehmen. Arminius gab seinen Leuten den Befehl, sich bis an den Waldrand zurückzuziehen, plötzlich aber ließ er sie eine Schwenkung machen und gab dann auch denen, die er im Waldgebirge in einen Hinterhalt gelegt hatte, das Zeichen, vorzustoßen. Da wurde die Reiterei durch die neu auftauchenden Truppen in Verwirrung gebracht. Zu ihrer Unterstützung wurden die in Reserve stehenden Kohorten der Bundesgenossen nachgesandt, jedoch wurden sie von den Fliehenden mit fortgerissen und machten so die Verwirrung nur noch größer. Schon waren sie nahe daran, von den siegreichen Germanen [in ein] unbekanntes und darum gefährliches Sumpfgelände gedrängt zu werden. Da ließ der Caesar (Germanicus) die Legionen aufmarschieren und in Schlachtordnung aufstellen.

Man trennte sich nach nicht entschiedenem Kampfe.

(TACITUS, Annalen I.71)
Um das Gedenken an die Niederlage (CLADIS) auch durch Leutseligkeit zu mildern, ging Germanicus bei den Verwundeten herum, hob die Taten einzelner hervor.

(Germanicus hat das also auch als Niederlage empfunden, wenigstens behauptet TACITUS das.)

(Heinz RITTER-SCHAUMBURG, 1988, Q.#38a, S.193)
Ungern geht einem Römer das Wort “Niederlage” aus dem Munde. Hier geschieht es. Der Schlag war zu groß. Trotz der hohen Meinung von ARMINIUS hatte TACITUS eine weit höhere von seinem Volk. Wir dürfen ihm diesen Text wohl glauben.

Die Verluste in dieser „Schlacht“ waren so groß, dass der Feldzug sofort abgebrochen wurde.

Man zog sofort zurück zum Ausgangspunkt „Treffpunkt an der Ems“ (zwei Tagemärsche).

Gerade hier wurden Lituus-Stäbe gefunden, die Insignien eines Augurs, eines Oberpriesters. Nur Germanicus war Augur. Solche „heiligen Dinge“ wurden nicht am Körper sondern in einem Fahrzeug mitgeführt. Nach Tacitus wurde der Tross des Germanicus in Kampfhandlungen verwickelt, die so stark waren, dass der Feldzug sofort abgebrochen wurde.

Lituus.jpg

Im Gegensatz zu seinem Text (Marschgefecht) zeigt Professor Boris DREYER den Zug des Germanicus sogar so in seiner Zeichnung, weil er den Germanicuszug unbedingt mit dem vermeintlichen Varuszug synchronisieren wollte.

Zug des Germanicus 15nC aus Q.1092 (2009) Boris Dreyer.jpg

Das Heer des Germanicus folgt dem Arminius, muss aber auch zu seinem Nachschublager an der Ems (evtl. bei Emsbüren) zurück. Arminius scheint gerade diesen Faktor bei seinem „Rückzug“ einkalkuliert zu haben.

(nach H. RITTER-SCHAUMBURG, 1988, Q.#38, S.236-237)
Der um die Lokalisation ringende Historiker“ muss nur, um den Tacitus recht zu verstehen, den Tacitus ausschalten und seine Spekulationen um Kalkriese dafür einsetzen.