6. März 1943

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English
GEO INFO
Saint-Renan Karte — map
Brest Karte — map

St. Renan. Britische Luftstreitkräfte haben Brest angegriffen.[1] Ein angeschossener Jäger taumelt in großer Höhe dem Kanal entgegen. Plötzlich beginnt die Maschine zu trudeln und schießt dann senkrecht in die Tiefe. In diesem Augenblick bläht sich ein Fallschirm über der stürzenden Maschine auf, und der Pilot pendelt langsam der Erde entgegen. Ich alarmiere sofort unsere ••• S. 122 •••Bereitschaftsautos. Das sind requirierte französische Lkws mit französischen Fahrern. Aber die haben plötzlich alle Pannen. Kein einziges Auto springt an! Ich schnauze sie an, aber sie zucken nur mit den Schultern. Sie haben Mut, denn was sie tun, ist glatte Sabotage. Bei den Russen hätten sie so etwas nicht tun können. Die hätten den ersten erschossen, und die anderen hätten ihre Autos sehr schnell in Gang bekommen!

Inzwischen waren einige Männer meiner Kompanie kurz entschlossen mit Fahrrädern losgesaust und folgten dem sinkenden Fallschirm über Straßen und Landwege. Ich fahre hinterher und sehe schon von weitem auf einer Wiese den Fallschirm liegen. Daneben stehen Bauern und Kinder aus den umliegenden Farmen. Auf der Wiese verstreut liegen noch einzelne kleine Wrackteile der abgestürzten Maschine. Als ich ein Gurtstück der 2-cm-Bordkanone aufhebe, laufen die Frauen schreiend auseinander. Den Piloten hatten meine Männer inzwischen auf einen der landesüblichen zweirädrigen Bauernkarren geladen. Der Gefangene ist ein junger, dunkelhaariger Offizier. Er trägt seinen Unterarm, der von einem Flaksplitter verletzt ist, in einem Notverband, den ihm einer meiner Männer angelegt hatte. Auf unserem Rückweg in die ••• S. 123 •••Stadt folgte uns ein Menschenschwarm, der immer größer wurde. Wir halten vor unserer Schreibstube. Ich steige vom Wagen und gehe hinein, um dem Regiment die Festnahme des Piloten zu melden. Draußen hat sich inzwischen eine große Menschenmenge um den Karren versammelt. Es war keineswegs nur Neugierde, die sie hierher gebracht hatte. In ihren Gesichtern und ihren Zurufen zeigt sich spontan die Sympathie für die Briten. Der Pilot blickt ernst und etwas versonnen über die Menge. Mir scheint, er registriert die Ovationen gar nicht in seinem Bewusstsein. Er steht wohl noch ein bisschen unter Schock. Wir lassen ihn auf einen Lkw umsteigen, um ihn zum Regiment zu bringen. Dem anfahrenden Wagen folgt eine dichte Traube von Franzosen. Viele Winken ihm nach, besonders natürlich junge Mädchen. Diese wenigen Augenblicke haben ein Schlaglicht auf die wirklichen Gefühle der Franzosen geworfen. Wir Deutschen sind eben doch die Okkupanten, die ihr Vaterland besetzt haben. Zwar arrangieren sie sich mit uns, und zwar meist recht freundlich, aber die Briten wollen sie befreien, und das ist ihnen begreiflicherweise lieber. Unter den Winkenden ist auch ein älterer Mann, der gerade vor mir her geht. Als er dann seinen Hut abnimmt und zu schwenken beginnt, haue ich ihm in einem Anfall von zorniger Enttäuschung den Speckdeckel aus der Hand und führe den Kerl auf die Schreibstube. Ich telefoniere erst, lasse ihn eine Weile zappeln und stelle ihn dann zur Rede. Da fängt er plötzlich an, auf die Engländer zu schimpfen, weil sie die französischen Städte bombardieren. Dann lasse ich ihn laufen. Einen Freund habe ich damit nicht gewonnen, aber auch keinen verloren. Er war sowieso keiner.

Einige Zeit später tauchen wir wieder in Brest auf. Unser Ziel ist das Haus des Seekommandanten, genauer gesagt, die Bar im ersten Stock, wo wir nun auf den Barhockern sitzen und mit den Barmädchen ausgiebig plaudern. Die eine ist schwarz, die andere blond. Max und ich profitieren am meisten von den beiden, weil wir am besten Französisch sprechen. Die anderen halten sich lieber an die vorzüglichen Alkoholika, die die Marine hier anzubieten hat. Meiner Vorliebe für Nordisches entsprechend, habe ich die Blonde mit Beschlag belegt, während Max die Schwarze unterhält. Die Blonde ist mit einem deutschen Unteroffizier verlobt, der hier im Haus die Ordonnanzen kommandiert, als eine Art Oberkellner. Der erscheint einmal, ist offensichtlich eifersüchtig, stellt sich vor mich hin und erklärt mit verbissenem Gesicht, er wolle mich darauf aufmerksam machen, dass er mit dem Mädchen verlobt sei. Ich erkläre ihm kalt, dass mir das bekannt sei, und was er eigentlich beanstanden wolle. Das Mädchen hat aus der Entfernung sofort bemerkt, dass da etwas nicht stimmt. Sie kommt herzu, fasst ihren Verlobten am Arm und fragt mit bösem Gesicht, was er gesagt habe. Da ist er still und entfernt sich wortlos. Beim Abschied stehe ich noch allein mit dem Mädchen auf der Treppe zu ihrem Zimmer. Die anderen waren schon voraus gegangen und riefen schon nach mir. Ich wollte noch etwas sagen, und das Mädchen wartete sichtlich auch noch auf etwas. Dann fiel mir nichts Blöderes ein als der Rat, sie möge ihrem Verlobten treu sein. Ich hätte ihr genau das Gegenteil sagen sollen.

Gestern abend hatte das Offizierskorps des Bataillons ein Fest mit Damen arrangiert. Die Damen waren deutsche Mädchen aus Brest, die dort in allen möglichen militärischen und zivilen Dienststellen arbeiten. Die Veranstaltung fand in einem kleinen Saal eines Hauses statt, das wir als Kasino benutzen und in dem wir auch immer unser gemeinsames Mittagessen einnehmen. Zu Beginn stellte der Bataillonsadjutant, Leutnant Gawletta, die Offiziere einzeln den Damen vor, indem er jeden Offizier mitten in den Saal stellte und mit ein paar witzigen Worten charakterisierte. Mich bezeichnete er als den „schweren Jungen“ des Bataillons, weil ich als Führer des schweren Granatwerferzuges die schwersten Waffen des Bataillons befehligte. Der Abend verläuft recht nett.

Einen kleinen Zwischenfall gab es hinter den Kulissen, als der widerliche, unsympathische Bataillons- (Assistenz-) Arzt[2] mit einem Mädchen plötzlich verschwand. Die Offiziere missbilligten dieses auffällige und deshalb unangemessene Benehmen, und Gawletta, der Theologe, war höchst verärgert und sagte es auch dem Arzt. Da pustet sich dieses fette Schwein auch noch auf und zischt Gawletta an, „er werde ihn mit seinem ganzen Hass verfolgen!“ Der Mann ist hysterisch.

Abends mussten die Mädchen dann wieder nach Brest zurückgefahren werden. Mehrere Offiziere erboten sich sofort „freiwillig“, die Mädchen zu begleiten. Aber der Kommandeur entscheidet, dass nur einer mitfährt. Dieser klettert also auf den bereitstehenden Lkw. Max Müller springt jedoch in einem günsti••• S. 124 •••gen Augenblick hinterher und winkt mir zu: „Los, rauf!“ Ich schwinge mich also auch noch heimlich hinauf, und plötzlich ist der feiste Assistenzarzt auch noch oben. Nun sind wir vier Begleiter, statt des einen.

In Brest gelingt es uns nach einigen Winkelzügen, den widerlichen Arzt abzuschütteln. Und da sich Oberleutnant X auch schon verkrümelt hat, bleiben nur noch Max und ich mit zwei Mädchen übrig. Die anderen hatten wir schon an ihren Wohnungen abgesetzt. Inzwischen war es schon sehr spät geworden, und die beiden Mädchen, die zusammen wohnen, luden uns zu einer Tasse Tee ein. Sie führten uns in eine sehr geschmackvoll eingerichtete Villa, deren untere Etage sie beide allein bewohnen. Es ergab sich fast von selbst, dass wir hier übernachteten. Meine Partnerin hatte wundervolle lange Zöpfe. —

Im Morgengrauen brachen Max und ich dann auf. Da aber Sonntag war, fuhren keine Busse. So wanderten wir aus der Stadt hinaus und zogen dann auf der Landstraße in Richtung St. Renan weiter. Wir hofften, dass uns irgendein Fahrzeug mitnehmen könnte. Kurz hinter Brest rauscht schon ein schwerer schwarzer Pkw heran, aber da sitzt ein Admiral drin, und den wagten wir nicht anzuhalten. So marschieren wir also weiter auf der leeren Landstraße. Alles atmet friedliche Sonntagsruhe. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Die Sonne steigt höher, und uns beginnt warm zu werden. Wir marschieren Stunde um Stunde und haben schon zwanzig Kilometer zurückgelegt. Die Sonne brennt jetzt unangenehm warm. Einen so warmen Vorfrühlingstag[3] haben wir bisher noch nicht erlebt. Es geht auf die Mittagszeit zu. Wenn wir zum Mittagessen nicht im Kasino sind, und der Alte merkt was, dann ist der Teufel los. Im letzten Dorf vor St. Renan[4] ruft Max das Bataillonsgeschäftszimmer an und bestellt einen Wagen. Er erhält eine Zusage, und wir schlurfen mit neuem Mut weiter. In der Ferne tauchen schon die ersten Häuser von St. Renan auf, und kurz vor dem Ort kommt endlich ein Beiwagenkrad angebraust, das uns die letzten drei Kilometer bis zum Kasino fährt. Es war buchstäblich die letzte Sekunde. Sie hatten gerade alle Platz genommen, als wir hereingestürzt kamen. Wir entschuldigen uns beim Kommandeur wegen der „Verspätung“, setzen uns auf unsere Plätze und beginnen mit harmloser Mine zu speisen. Der Kommandeur hat nichts bemerkt, nur die anderen wussten Bescheid und grinsen wie die Kobolde.

Wir haben einen Neuen gekriegt. Ich sehe ihn erstmals bei einem Beisammensein unserer Bataillonsoffiziere mit dem Regimentskommandeur Haarhaus. Dabei veranstalten wir einen Sängerwettstreit. Jeder Offizier sollte das Lied singen, das ihn in seiner Jugend, der Tanzstundenzeit, am meisten bewegte.

Dieser Neue ist ein junger, grüner Leutnant mit einer verdächtig spitzen Nase, die noch nach oben aufgebogen ist, so dass die Nasenlöcher wie Steckkontakte aussehen. Er ist nervös und zappelig, spricht hastig in kurzen, abgehackten Sätzen. Er erzählt uns ungeniert, dass er nach einer Übernachtung in einem Pariser Hotel eine wunderbare Wolldecke mitgenommen habe. Es war ein Hotel für Offiziere.

Von diesem Deckenklau habe ich später in Russland noch einmal gehört. Er befand sich in einem Lazarett, als ein EK I ankam. Da aber das Anschreiben noch fehlte, war zunächst unklar, wem es verliehen war. Es kam da noch ein Feldwebel in Betracht. Der besagte Deckenklau aber erklärte sich in naiv-frecher Selbstüberschätzung zum mutmaßlichen Empfänger. Er steckte sich das Kreuz an den Rock, stellte sich wie ein Pfau vor den Spiegel und meinte, es stünde ihm gut. Den ganzen Tag stolzierte er damit im Lazarett herum. Als dann am nächsten Tag die Urkunde kam, stellte sich heraus, dass das Eiserne Kreuz dem Feldwebel verliehen worden war. Das erzählte uns ein Mann unseres Bataillons, der damals auch im Lazarett lag.


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  1. möglicherweise am 06.03.1943 (KTB 7. A. Frame 000336): „Gegen 14.30 Uhr etwa 20 Bomber im Raum nördl. Brest. Bombenabwurf am Nordrand der Stadt. [...] 2 Spitfires abgeschossen.“
  2. „Assistenzarzt“ war der einem Leutnant entsprechende Dienstgrad der Sanitätsoffiziere.
  3. im Original wiederum „Herbsttag“; muss man nun doch an der Reihenfolge der Erzählungen zweifeln?
  4. sicher Guilers