20. Februar 1943

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Inhaltsverzeichnis

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Chronik

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

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GEO & MIL INFO
Le Conquet Karte — map
Saint-Renan Karte — map
Brest Karte — map
wieder Zugführer (sGrW-Zug)
Abschnittskommandant der Götterbucht
KompChef: Degener
Le Conquet
Le Conquet – hier war der Autor zum Küstenschutz von Mitte Dezember 1942 bis Mitte März 1943
Le Conquet
Le Conquet
Karte der Stellungen im Bereich Le Conquet. Die „Götterbucht“ ist leider nicht gekennzeichnet.[1]

Der Regimentskommandeur, Oberstleutnant Haarhaus, hat eine Besichtigung unserer Stellungen in der Götterbucht[2] angekündigt.[3] Dieser Abschnitt untersteht meinem Kommando. Zur Begrüßung des Kommandeurs haben sich die Offiziere des Bataillons am Strand aufgebaut. Sechs Männeken, schön sauber in Linie ausgerichtet, stehen im Sand des leeren Strandes und erwarten den Kommandeur. Es ist ein Bild zum Lachen, aber der steife Kommandeur wünscht, dass militärische Formen gewahrt bleiben. Als er kommt, wird ihm vorschriftsmäßig gemeldet. Dann muss ich noch extra vortreten und meine Beförderung (in einer vorgeschriebenen Formel[4]) melden, die er seinerzeit selbst unterschrieben hat. Dann gratuliert er mir. Nun beginnt die Besichtigung.

Laut Regimentsbefehl war ich aus dem Bataillonsstab ausgeschieden und als Zug••• S. 118 •••führer zu meiner alten Kompanie zurückgekehrt. Dann habe ich als Abschnittskommandant die Verteidigungsstellungen der Götterbucht in diesem etwa eineinhalb Kilometer langen Küstenstreifen übernommen. In meinem Abschnitt befinden sich zwei 7,5-cm-Kanonen (Kampfwagenkanonen), vier schwere Maschinengewehre und vier schwere Granatwerfer. Die Feuerstellungen liegen teils einzeln, teils gruppenweise zusammen, sind jeweils von einem Drahtverhau ringartig umgeben und außerdem auf der ganzen Länge des Abschnitts von einem durchgehenden Drahtverhau vorn und im Rücken gesichert, wobei die besonders gefährdeten Stellen zusätzlich durch Minensperren geschützt sind. Mein Gefechtsstand befindet sich in dem stärksten Stützpunkt der Bucht. Er ist mit vier Granatwerfern und zwei sMGs bestückt, besitzt einen Betonbunker und zwei kleine Wohnbaracken, in denen ich mit den Bedienungsmannschaften hause. Die Baracken sind so tief in die Erde versenkt, dass nur die Dächer ein wenig darüber herausragen. Es ist eine ruhige Zeit. Zwar weht hier oben auf der Steilküste eine steife Brise, und es ist auch regnerisch, aber es ist nicht kalt. Außerdem haben wir genügend Heizmaterial. Tagsüber buddeln wir an unseren Laufgräben herum und verbessern die Stellungen, und abends sorgt Obergefreiter Willi Neuhaus mit seinem trockenen Humor für Unterhaltung. Neuhaus ist, wie alle andern auch, waschechter Berliner und von Beruf Bierfahrer. Ich habe ihn schon wiederholt zum Unteroffizier vorschlagen wollen, aber er lehnt jede Beförderung ab. So wie er, sind alle hier alte, bewährte Russlandkämpfer und haben in vielen Schlachten und Kämpfen ihre Pflicht getan. Sie lieben den Krieg nicht, aber sie ertragen ihn mit Gleichmut und Berliner Schnoddrigkeit. Wenigstens nach außen. Sie halten in treuer Kameradschaft zusammen, und es ist gar kein Zweifel, dass sie weiterhin ihre Pflicht tun, bis zum Ende.

Nur einer gefällt mir nicht. Es ist ein Neuer, der mit einem der letzten Rekrutenschübe gekommen ist. Ein junger, kräftiger Kerl, der das Zeug zu einem guten Soldaten hätte. Aber er will nicht, ist faul und widerwillig. Ich habe schon mit ihm unter vier Augen in aller Ruhe gesprochen, aber er ändert sich nicht. Er heißt Hargesheimer und ist ausgerechnet noch aus Friedrichshagen[5].

Jeden zweiten Abend schicke ich einen Mann nach Le Conquet, um aus einem dortigen Hotel zusätzliches Abendessen zu holen. Die Portionen, die er in unseren Kochgeschirren holt, sind klein, aber es ist ein zusätzliches warmes Essen. Es kostet 1,- Mark. Einmal schicke ich einen Mann für einen ganzen Tag ins Hinterland zum Organisieren von Zusatzverpflegung. Der Kerl bleibt zwei volle Tage weg und kommt dann noch mit leeren Händen zurück. Er meint, er hätte doch erst die Quellen ausfindig machen müssen. Jetzt wüsste er, wo etwas zu holen sei. Ich ließ ihn also nochmals losziehen. Diesmal blieb er drei Tage fort und kehrt dann mit ein paar Würsten zurück, die gerade für jeden ein fingerlanges Stück abgeben. Ich habe diesen Gauner nie wieder fortgelassen.

Heute haben wir weiter an der Verbesserung unserer Stellungen gearbeitet. Ich habe, wie immer, fleißig mitgebuddelt, weil es mir Spaß macht. Dabei war ich so in meine Beschäftigung vertieft, dass ich den leise einsetzenden Regen gar nicht bemerkte. Als ich dann aber allmählich nass wurde und aufblickte, stellte ich fest, dass ich ganz allein im Regen stand, während sich die ganze übrige Bande in die Baracke zurückgezogen hatte und mir durch das Fenster feixend zusah.

Meinem Stützpunkt sind vier französische Arbeiter zugeteilt, die die hüfthohen Steinwälle, die die Äcker und Weiden begrenzen, abtragen sollen, um besseres Schussfeld zu schaffen. Sie tun es ungern und arbeiten sehr langsam. Ich kann es ihnen nachfühlen. Heute sind nur drei gekommen, und ich frage nach dem Fehlenden. Ich sage ihnen auch, dass ich ihr träges Arbeiten wohl bemerkt hätte und auch ihre Beweggründe kenne. Sie geben es zu. Sie waren bei der Marine und hatten in Toulon an der Selbstversenkung der französischen Flotte teilgenommen, um sie nicht in deutsche Hände fallen zu lassen. Sie trauern um ihre stolzen Schiffe, erklären die Versenkung für unsinnig und sind überhaupt über den militärischen Zusammenbruch ihres Vaterlandes sehr bedrückt. Welch vorbildliches Nationalbewusstsein!

Dieser verdammte Stacheldraht! Bei meinen Kontrollgängen muss ich zwangsläufig durch mehrere dieser Sperren und zerreiße mir dabei jedesmal den Mantel. Heute nacht habe ich mir wieder einen fingerlangen Dreiangel hineingerissen.

••• S. - ein Absatz nach 3.2.43 verschoben, Haupttext S. 119 fortgesetzt •••

Bei einem Spaziergang durch Le Conquet begegnet mir ein Mädchen, das mich so freundlich anlächelt, dass ich mich geradezu verpflichtet fühle, sie anzusprechen. Aber es bleibt bei einem Gespräch. Sie ist verlobt und steht für Spaziergänge nicht zur Verfügung. Aber vielleicht war die Verlobung nur eine Schutzbehauptung vor allzu schneller Zustimmung. Vielleicht hätte ich noch ein bisschen länger bitten sollen?

Unser Bataillon wird abgelöst und nach St. Renan verlegt.[6] Ich übernehme wieder den schweren Granatwerferzug. Meine Mannschaften sind in dem kleinen Saal einer Gastwirtschaft untergebracht und ich bekomme ein Quartier, das ursprünglich für den Kompaniechef vorgesehen war. Die Wohnungsinhaberin, Mme.[7] Jacob, erzählt mir, dass sie über diesen Wechsel unbeschreiblich glücklich sei. Der Chef sei ihr etwas unheimlich gewesen. Ich kann mir das gut vorstellen. Hauptmann Degener mit seiner breiten, massigen Bauerngestalt und seinem fleischigen Bulldoggengesicht musste der Französin wie der leibhaftige, gefürchtete deutsche „Hunne“ erschienen sein. Aber Degener ist im Grunde ein gutmütiger Kerl, wenngleich er Leute, die er nicht leiden kann, gewaltig in die Zange nehmen kann. Er ist Bauer – fast alle MG-Kompaniechefs sind Bauern – und ehemaliger Zwölfender. Er hofft auf eine Beförderung zum Major, aber der Batailloner will ihn nicht hochkommen lassen, genauso wie mich damals. Und dem vornehmen, kultivierten, arroganten Regimentskommandeur ist der Bauer ohnehin nicht recht. Degener spürt die Schwierigkeiten, die man ihm macht. Als ich einmal abends bei ihm im Quartier saß, beklagte er sich bitter über die Kabalen seiner Vorgesetzten. Er scheint eine Schwäche für mich zu haben, denn er fragt mich öfter nach diesem und jenem und holt mich auch sonst heran, wenn er mal Unterstützung braucht. Erst gestern dolmetschte ich bei seiner Verhandlung mit einem Müller über eine Mehllieferung für die Kompanie. Schon öfter fragte er mich nach meiner Meinung über irgendwelche Angelegenheiten. Und da ich zu alledem noch gut reiten kann, ist er ganz offensichtlich mit mir sehr zufrieden. Aus dem kritischen und misstrauischen Vorgesetzten in Majaki („… mal seh’n, was Du für’n Scheich bist...“)[8] ist fast ein vertrauensvoller Kamerad geworden.

Er wurde später dem Vernehmen nach Führer eines Turkbataillons.[9] Man hat ihn also zwar befördert, aber doch gewissermaßen abgeschoben.

Die Auswahl der Bataillonsführer war nicht immer glücklich. Die hohen Offiziersverluste erzwangen eine weniger strenge Auslese. Man beförderte auch sehr viele Feldwebel und Oberfeldwebel der alten Reichswehr zu Offizieren und viele von ihnen erreichten im Laufe des Krieges Majorsrang. Diese „Zwölfender“ waren langgediente, meist tüchtige Berufssoldaten, die ihr Handwerk bestens verstanden. Aber für die weitergehenden Aufgaben eines höheren Offiziers fehlten ihnen oft die Voraussetzungen. Weniger die militärischen, als vielmehr die umfassende Bildung, Weitblick, Weltgewandtheit, Menschenführung und anderes mehr. Bei vielen kam immer wieder der alte Kommisskopp durch.

Als Hauptmann Degener als dienstältester Offizier des Bataillons den in Urlaub fahrenden Bataillonskommandeur vertritt, übergibt er mir die Führung der Kompanie. Außerdem legt er mir dringend ans Herz, möglichst oft die Unteroffiziersreitstunden durchzuführen. Später musste ich ihm leider gestehen, dass ich Unteroffiziersreitunterricht und Reitschulung nur zweimal abgehalten habe, weil ich durch den Papierkrieg stundenlang in der Schreibstube festgehalten worden war.

Heute früh kommt ein Befehl zur Abstellung von sechs Mann für die Neuaufstellung einer Einheit, die nach Russland gehen soll. Beim Morgenappell lese ich der Kompanie den Befehl vor und frage dann gewohnheitsgemäß erst nach Freiwilligen. Es ist ja eine undankbare Aufgabe, Männer aus einer Einheit herauszureißen, in die sie sich eingelebt haben. Noch dazu, wenn sie nach Russland müssen. Aber ich erlebe eine meiner größten Überraschungen. Es melden sich mehrere Freiwillige, so dass ich nur einen einzigen ohne seine Zustimmung zu melden brauche. Nach dem Appell lasse ich die Leute in die Schreibstube kommen und frage sie einzeln unter vier Augen, warum um alles in der Welt sie denn freiwillig aus dem bequemen Frankreich in das mörderische Russland zurück gehen wollen. Die Antworten sind verblüffend und erschütternd zugleich.

••• S. 120 •••Der erste antwortet mir:

„Mein Bruder ist in Russland, und ich will es nicht besser haben als er.“

Der zweite sagt:

„Wenn mein Freund nach Russland muss, dann gehe ich mit.“

Der dritte erklärt:

„Mir gefällt es in Russland besser.“ Er ist ostpreußischer Bauer, und die russische Landschaft mit ihren Dörfern und dem überwiegend ländlichen Charakter erinnert ihn an seine ostpreußische Heimat. Um dieses Heimatgefühls willen nimmt er sogar Unbilden und Lebensgefahr auf sich.

So hat jeder seinen triftigen Grund, und ich kann diesen Männern meine Achtung nicht verwehren. Wieviel wertvolle Charaktereigenschaften stecken doch in diesen einfachen Menschen! Gebe Gott, dass solcher Geist und solche Gesinnung in unserem Volk erhalten bleibe! Dass Menschen um einer größeren Sache willen – sei es Bruderliebe, Heimatliebe, Freundschaft oder Religion – ihr bequemes Leben aufgeben und ihr Leben wagen wollen!

Unsere Soldaten benehmen sich – von Ausnahmen abgesehen – sehr anständig und haben wenigstens nach außen hin ein durchaus freundliches Verhältnis zu den Franzosen. Leider gibt es immer wieder einzelne Asoziale, die dieses gute Verhältnis gefährden. Heute erzählt mir die Besitzerin der Gastwirtschaft, in deren Saal meine Männer einquartiert sind, brühwarm das Neueste: Seit einiger Zeit verschwanden immer einige Schnapsflaschen aus ihrem Keller. Deshalb haben sich ihr Schwager und einige befreundete Franzosen mit Knüppeln bewaffnet und im Keller Nachtwache bezogen. Schon in der ersten Nacht schnappten sie den Dieb. Es war Maxens Putzer, den die Hotelwirtin in Lannion auch schon des Diebstahls verdächtigt hatte. Max, der gerade aus dem Urlaub zurückgekommen war und die Kompanie wieder übernommen hatte, wollte ihm nur drei Tage Arrest geben. Aber dann ist doch auf Befehl des Bataillons ein Verfahren gegen ihn eingeleitet worden, das mit der Degradierung zum Schützen endete. Das war völlig richtig. Solche Ganoven sind es nämlich, die das Ansehen der Wehrmacht und der Deutschen schädigen. Von den Tausenden von anständigen Soldaten redet niemand, aber die Tat eines einzigen Lumpen geht wie ein Lauffeuer durch die Öffentlichkeit. Dabei ist die Wirtin noch so anständig hinzuzufügen, dass es überall gute und schlechte Menschen gebe. Meine Männer machen ihr jedenfalls keine Unannehmlichkeiten, und wir haben ein sehr freundschaftliches Verhältnis zueinander. Mal bekomme ich Butter von ihr, mal veranlasst sie ihre schwarzhaarige Nichte, etwas für mich zu tun. Eins ihrer Dienstmädchen nähte mir meine Sporthose, und hin und wieder essen wir zusammen in ihrem kleinen Gastzimmer hinter dem Schankraum. ••• S. 115: aus dem Zusammenhang des 18.12.42 hier eingefügt: •••Ich erzähle ihr, dass der Gefreite wegen eines anderen Deliktes, das er schon begangen hatte, zum einfachen Soldaten degradiert worden sei. Diese Nachricht hört sie mit Genugtuung.[10]••• S. 120: Haupttext fortgesetzt •••

Familie Jacob ca. 1936: Antoine, Annick, Jeanne(tte), Henri, Marie Louise (v.l.n.r.)[11]

Ebenso freundlich sind meine eigenen Quartiersleute, eine mittelalterliche Witwe, die gemeinsam mit ihrer Schwester eine Weingroßhandlung betreibt. Ihr Mann ist als Reserveoffizier im Krieg gegen uns gefallen.[12] Sie hat einen Sohn in einem Pariser Internat und zu Hause eine 15-jährige Tochter, in deren Jungmädchenzimmer ich jetzt wohne. Ich habe selten in einem so bequemen Bett geschlafen wie in diesem Doppelbett. Abends nach dem Dienst bin ich oft bei den Quartiersleuten, die übrigens noch ihre alte Mutter bei sich haben.[13] Mme. Jacob ist eine trotz ihres nicht mehr ganz jugendlichen Alters äußerst lebhafte und temperamentvolle Dame. Sie interessiert sich in echt fraulicher Neugierde für alle meine Verhältnisse, Essen, Trinken, Kleidung und scheut sich auch gar nicht, mir sehr temperamentvoll zu sagen, was ihr nicht passt. Sie fragt auch nach meiner politischen Einstellung und erzählt, dass mein Vorgänger, ein junger Leutnant, ein überzeugter Nazi gewesen sei. Kürzlich fragte sie mich, ob die Offiziere dieselbe Verpflegung wie die Mannschaften bekämen und ob wir abends immer nur dieselbe bescheidene kalte Verpflegung bekämen. Als ich beides bejahte, erklärte sie, dass sie das nicht länger mitansehen könne und briet mir einen großen Fleischklops. Sie hatte also auch beobachtet, was mein Bursche mir immer bringt. Als Mme. Jacob mich zum ersten Mal mit Schirmmütze sah, meinte sie sehr lebhaft, diese Mütze solle ich immer tragen. Sie sehe viel besser aus als das Schiffchen. Dann erzählte sie von polnischen Offizieren, die hier mal eine Zeit lang gelegen hatten und mit ausgesuchter Eleganz gekleidet waren. Von den Engländern hält sie übrigens nicht viel, aber für die Amerikaner hat sie eine Schwäche.

Unser Ausbildungsdienst erfolgt hier auf den herbstlich anmutenden[14] Weiden in der ••• S. 121 •••Umgebung der Stadt. Diese Weideflächen sind von bewachsenen Steinwällen umgeben, wie die Knicks in Schleswig-Holstein oder die Wallhecken Westfalens. Eines Tages beobachtet Mme. Jacob unsere Rückkehr vom Geländedienst und das Wegtreten meiner Kompanie. Als ich in die Wohnung zurückkehre, sagt sie mir, dass sie überrascht gewesen sei über die Schärfe meiner Stimme. Eine solche Kommandostimme habe sie mir gar nicht zugetraut. Ist nicht gerade ein Kompliment. Ein andermal begegnet ihr auf der Straße eine unserer Kompanien, die gerade vom Geländedienst zurückkommt und mit Gesang durch die Straßen marschiert. Dabei wurde eine Strophe gesungen, eine gepfiffen und eine gesummt. Sie hatte so etwas noch nie gehört und war ganz entzückt.

Eines abends stellt mir Mme. Jacob einen Lehrer vor, mit dem wir zu Dritt zusammensitzen. Der Lehrer ist erfüllt von der Idee einer deutsch-französischen Zusammenarbeit und vertritt sie so wortreich, dass ich kaum zu Wort komme. Natürlich habe ich alles verstanden, was er sagte, aber bevor ich eine Antwort formuliert hatte, sprach der Lehrer schon weiter. Als er dann gegangen war, sagte Mme. Jacob zu mir, ich solle es ihr nicht übel nehmen, aber „vous avez été d’un calme désarmant“. Sie waren von einer entwaffnenden Ruhe. Einige Tage später treffe ich den Lehrer im Bus. Ich grüße, aber er übersieht mich absichtlich.

Im Quartier meiner Männer treffe ich zuweilen ein Mädchen an. Sie ist Fotografin und lässt sich von den Soldaten Fotos geben, die sie vergrößert und koloriert. Sie erzählt mir von ihrer Arbeit und fragt, ob auch ich etwas für sie zu tun hätte. Ich hatte keine Fotos, die zu bearbeiten sich gelohnt hätten. Aber man braucht ja nicht immer nur geschäftlich miteinander zu verkehren. Darin sind wir uns beide einig. Als sie einmal in meinem Zimmer ist, bringt mir mein Putzer gerade die kalte Verpflegung. Mme. Jacob sieht, dass ich Besuch habe. Das gefällt ihr gar nicht, und als ich abends zu ihr hinüber gehe, hält sie mir eine temperamentvolle Standpauke. Deshalb traf ich mich mit dem Mädchen ein andermal im Quartier von Feldwebel NN, und als der Kamerad das Zimmer verlässt, höre ich plötzlich hinter der Tür zum Nebenzimmer eine aufgeregte Frauenstimme zischeln: „Ils sont seuls maintenant!“ Jetzt sind sie allein! Ich verhänge aus Bosheit das Schlüsselloch mit meinem Waffenrock, bin aber nicht sicher, ob die Tür nicht noch andere Gucklöcher hat.

Der U-Boot-Bunker von Brest[15]

Natürlich lassen wir keine Gelegenheit aus, um nach Brest zu kommen. Einen Grund finden wir immer. Mit „wir“ meine ich die Offiziere unseres Bataillons, die, mal zu zweit, zu dritt oder zu viert, zu kleinen Unternehmungen starten. Einmal hat uns die Marine eingeladen und ein kleines Besuchsprogramm zusammengestellt. Zunächst besichtigen wir den großen U-Boot-Bunker. Es ist ein gewaltiger viereckiger Betonklotz mit einer vier Meter dicken Betondecke. Selbst eine Luftmine, die hier bei einem Angriff drauf geschmettert war, hatte nur eine flache Delle geschlagen. Das Innere ist in sechs große Boxen eingeteilt, in der jeweils zwei, zur Not auch drei U-Boote liegen können. Die Einfahrten werden durch schwere gepanzerte Schiebetore geschlossen.

Jetzt warten wir auf ein U-Boot, das von Feindfahrt zurückkehrt und soeben gemeldet ist. Es erscheint vor der Einfahrt und gleitet langsam in den Bunker hinein. Während eine Kapelle das Engellandlied spielt, macht das Boot fest. Dann kommt die Besatzung von Bord. Am Laufsteg steht ein Matrose, der jedem Besatzungsmitglied eine große Tafel Schokolade in die Hand drückt. Als letzter kommt noch ein Tommy von Bord, den sie irgendwo aus dem Bach gefischt haben. Er bekommt keine Schokolade. Wir begleiten die Besatzung in den großen Gemeinschaftssaal der Kaserne, der schon für eine kleine Empfangsfeier hergerichtet ist, und lassen uns von ihrem Leben und ihren Erlebnissen erzählen. Aber sie sind nicht sehr gesprächig. Sie brauchen jetzt wohl Ruhe und Schlaf.

Den Abend verbringen wir dann noch als Gäste der Marineoffiziere im „Haus des Seekommandanten“. Wir sitzen gemütlich in der Bar im ersten Stock des Hauses, lassen uns geschmeichelt von der Marine sagen, wie froh sie darüber sind, dass eine kampferprobte Division ihren Raum sichert und bewundern unsererseits die beiden hübschen französischen Barmädchen.


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  1. Bundesarchiv, Bestand RH 26-257-27
  2. Als reale topographische Bezeichnung nicht gefunden; wahrscheinlich handelt es sich um eine militärische Geländetaufe. Unterlagen darüber sind nicht zu finden.
  3. Vielleicht war es auch die Besichtigung durch den OB der 7. Armee vom 16, 18. oder 19. (nicht genau zu lesen) bis 20.02.1943 oder durch Oberst von Anmuth, Sonderstab A bei AHA (wohl am 20.) oder beide (KTB 7. A Frame 000320/323).
  4. vermutlich „Leutnant Schrödter meldet sich mit neuem Dienstgrad!“
  5. damaliger Wohnsitz des Autors
  6. wohl nicht identisch mit der im KTB OKW 1943 S. 241 i.V.m. S. 220 u. 1422 und bei Benary S. 112 (Anfang April für ein paar Tage) erwähnten Verlegung der Division ins Hinterland
  7. Madame, Frau
  8. vgl. 4.4.42
  9. Zwei Turkbataillone waren dem XXV. A.K. – für den Einsatz bei anderen Divisionen – seit Februar zugeführt worden; ihr deutsches Rahmenpersonal war möglichst weitgehend zu verstärken (KTB 7. A. Frame 000953).
  10. Die Geschichte dieses Delikts selbst wird nicht erzählt.
  11. mit freundlicher Genehmigung von Bénédicte Bulle
  12. Er starb am 18.12.1939; er müsste in Polen gekämpft haben, oder der Autor hat es falsch verstanden.
  13. Die erwähnten Verwandten der Mme. Marie-Louise Jacob geb. Le Gall (1902–1970) waren Schwester NN, Ehemann Antoine Jacob (1897–1939), Sohn Henri (1929–2015), Tochter Jeannette und Mutter Marie Anne geb. Lan(n)uzel (1876–1958) (freundliche Mitteilung der Tochter von Henri, Mme. Bénédicte Bulle, 2022); wo war die andere Tochter, Annick? Die Weinhandlung war 1923 gegründet worden und gehörte der Familie bis 2022, siehe die Presseartikel vom 02.01.2018 und vom 26.03.2022 und ein Foto.
  14. im Original irrtümlich einfach herbstlichen; es gibt in der Tat auch im ausgehenden Winter Wetterlagen, die an den Herbst erinnern
  15. mit freundlicher Genehmigung des Seiteninhabers