20. März 1942
GEO & MIL INFO | ||||
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wieder Zugführer des schweren Granatwerferzuges |
••• S. noch 78, Teil H1 •••„Reserven“ sind eigentlich immer Eingreiftruppen. Man könnte sie ebenso gut Feuerwehr nennen. Wir glaubten, zunächst etwas Ruhe zu haben, aber schon in der ersten Nacht ging es los. Um 3 Uhr morgens klopft ein Melder an meine Tür und ruft: „Alarm, die Kompanie macht sich sofort marschfertig!“[1] Eine halbe Stunde später sind wir auf dem Marsch zum nordwestlichen[2] Stadtrand. Noch ist es finster. Wir halten. Die Zugführer werden zur Einsatzbesprechung gerufen. Ich führe wieder den schweren Granatwerfer-Zug. Die Lage wird bekannt gegeben: Ein sowjetischer Verband in Stärke von 800 Mann hat im Dunkel der stürmischen Winternacht unsere dünn besetzte Sicherungslinie durchbrochen und ist in die ersten Häuser am Stadtrand eingedrungen. Er muss wieder hinausgeworfen werden. Eine Schützenkompanie, verstärkt durch einen sMG-Zug, stellt sich zum Gegenangriff bereit. Ein Sturmgeschütz und eine Vierlingsflak auf Selbstfahrlafette sollen den Angriff unterstützen. Sie stehen irgendwo bereit, rechts von uns.
Es dämmert. Die Umrisse der Häuser zeichnen sich allmählich deutlicher ab. Vor uns liegt die Straße. Das übliche Bild einer Stadtrandstraße: Ein breiter Sandweg, der zu beiden Seiten von Holzhäuschen flankiert wird. Die Blockhäuser stehen in ca. dreißig Meter Abstand, haben an der Straße einen Vorgarten mit Holzzaun und hinter dem Haus einen Garten. Ein dörfliches Bild. Die Straße läuft auf freies Feld hinaus.
Inzwischen ist es hell geworden. Ein eiskalter Wintertag bricht an. Noch zeigt sich kein Lebewesen, und die Häuschen liegen verschlafen im frühen Licht des Tages. Aber es ist eine trügerische Ruhe.
Unsere Schützenkompanie setzt sich in Bewegung. Gruppenweise schleichen die Soldaten von Haus zu Haus. Die Gewehre schussbereit in Händen, schlängeln sie sich durch die Gärten und Vorgärten. Jedes Haus wird aufmerksam beobachtet. Da fallen die ersten Schüsse. Das Feuer wird schnell lebhafter. Jetzt erkennen wir, welche Häuser von den Russen besetzt sind. Brumm .. dröhnt plötzlich ein dumpfer Abschuss, und im selben Augenblick bricht die Wand eines der ersten Häuser unter einer Wolke von Staub und Schutt zusammen. Das war unser Sturmgeschütz! Rumms – der zweite Schuss kracht in das Haus. In der Staubwolke der Explosion wirbeln Bretter und ein Menschenleib durch die Luft. Unteroffizier Kramm war mit seinen beiden MGs an einer Hausecke und einem Vorgartenzaun in Stellung gegangen. Jetzt jagt er seine Feuerstöße in die besetzten Häuser. Da prasselt ihm eine Geschoßgarbe um die Ohren und der Lehm spritzt von der Hauswand. Die Iwans setzen sich zur Wehr. Kramm macht Stellungswechsel, und dann knattern seine Garben wieder gegen die besetzten Häuser. Fensterscheiben splittern, und der bröckelnde Lehm an den Hauswänden zeigt die Lage der Garben an. Unsere Schützengruppen stoßen inzwischen weiter vor. Die ersten Russen weichen zurück, verlassen fluchtartig die Häuser, von unserem Kugelregen verfolgt. Jetzt springen sie schon in ganzen Gruppen zurück. In das helle Knattern unserer Karabinerschüsse und das Rattern der MGs hat sich das dunkle, rhythmische Klopfen unserer Vierlingsflak gemischt. Ihre 2-cm-Geschosse durchsieben die Hauswände und zerstieben die Gruppen der fliehenden Russen. Vielen gelingt es nicht einmal mehr die Häuser zu verlassen. Sie hatten sich vor dem vernichtenden Feuer der Flak und des Sturmgeschützes in den Keller geflüchtet, aber bevor sie wieder herauskriechen konnten, war unsere Infanterie schon im Haus und nahm sie gefangen.
Der Wiederstand der Roten ist gebrochen. Einen Teil der von ihnen besetzen Häuser haben wir zurückerobert, aus dem anderen sind sie kampflos geflohen. Jetzt strömen sie in hellen Scharen zurück. Dabei müssen sie nun ••• S. 79 •••den sanft ansteigenden, aber endlos weiten Hang wieder hinauf hasten, von dessen Höhen sie heruntergekommen waren. Der Hang ist eine kahle Schneefläche, von der sich die braunen Gestalten deutlich abheben. Da sind sie unserer Vierlingsflak deckungslos ausgeliefert. Pausenlos hämmert sie ihre Feuerstöße in die Rudel der Flüchtenden. Wupp-bupp-bupp-bupp… jedesmal reißen die kleinen Granaten eine Lücke in ihre lichten Haufen. Diese Vierlingsflak ist eine furchtbare Waffe. Wupp-bupp-bupp-bupp… Mann um Mann sinkt getroffen in den Schnee. Der Tod folgt den fliehenden Sowjets bis weit auf die Hänge hinauf und rafft sie nieder, bis sie hinter der rettenden Kante der Hochfläche verschwinden.
Inzwischen ist die Kolonne der Gefangenen, die wir auf der Straße antreten lassen, immer länger geworden. Es sind viele Verwundete dabei. Ihre weißen Verbände leuchten aus den braunen Reihen hervor. Manche sind noch ohne Verband. Der Frost wird in ihre blutenden Wunden dringen. Stumm und bedrückt stehen sie da. Einige trampeln mit den Füßen, um sich zu erwärmen. Andere beschäftigen sich mit ihrer Verwundung. Hier und da reichen mitleidige Frauen etwas Essbares oder einen Becher Milch aus ihren Häusern heraus. Die bolschewistische Angriffsgruppe ist vollständig zerschmettert. Etwa 200 Tote liegen auf dem Gefechtsfeld, und ebenso viele Gefangene stehen auf der Straße. Diese Kolonne setzt sich nun langsam und schleppend zum Stadtinnern in Bewegung. Das war ein voller Sieg. Von den 800 Angreifern kehrt nur die Hälfte in ihre Stellungen zurück. Wir selbst sitzen mittags wieder in unseren Quartieren. Eigene Verluste: Keine!
••• S. noch 77, Teil G0 •••Eines Abends hören wir plötzlich drüben hinter der russischen Front das bekannte Aufjaulen der sowjetischen Salvengeschütze, der gefürchteten Stalinorgeln.[3] Wir springen in Deckung und erwarten die ersten Einschläge. Da flammt es in Bilbassowka auf. Erst je ein Einschlag links und rechts, und dann spritzen zwischen diesen beiden weitere 12 oder 16 funkensprühende Feuerfontänen in die dunkle Nacht empor. Und während das Grollen der krächzenden Detonationen die Luft erzittern lässt, fällt der glühende Funkenregen zur Erde zurück. Phosphor! Für Sekunden senkt sich wieder der Schatten der Nacht über das Dorf. Bald aber flackern einzelne Brände auf. Die strohgedeckten Bauernhäuser haben Feuer gefangen. Nun stehen sie wie brennende Riesenfackeln in der Dunkelheit und verlöschen dann allmählich zu dunkelrot glühenden Flecken. Die Russen scheuen sich nicht, ihre eigenen Dörfer und Menschen zu vernichten, wenn sie nur hoffen können, uns dabei zu schaden.
Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang |
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente |
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen |
- ↑ gem. KTB 257. I.D. erfolgte der Alarm um 6 Uhr (NARA T-315 Roll 1804 Frame 000827)
- ↑ im Original irrtümlich nordöstlichen
- ↑ Am 21.03. – nach den Kämpfen um Karpowka – zwischen 22.00 und 22.30 gab es drei Angriffe einer Raketenbatterie auf den Westteil von Bylbassowka (KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 000609).