14. März 1942
••• S. noch 71, Teil D1 •••Jetzt[1] kommt der Einsatzbefehl für unser Bataillon. Wir treten an und rücken kompanieweise der Front entgegen. Nachdem wir hinter dem Dörfchen Jasnaja Gorka einen schmalen Bachgrund mit steilen Hängen durchschritten haben, stehen wir nur noch wenige hundert Meter vor den ersten Häusern von Krassnoarmeisk. Einzelne Gruppen von Dorfbewohnern kommen uns entgegen. Sie tragen ein paar Habseligkeiten auf dem Rücken. Dann folgen völlig aufgelöste Haufen von Österreichern, die hastig und niedergeschlagen an uns vorbei nach rückwärts streben. Sie sprechen kein Wort, und wir stellen ihnen auch keine Fragen. Wir sehen ja selbst, was los ist, und die Nähe der Front und der Gefechtslärm haben unsere Sinne schon auf den kommenden Kampf gelenkt. Der Instinkt beginnt zu arbeiten. Körper und Nerven sind angespannt. Wir horchen auf Abschüsse und Einschläge, schätzen Kaliber und Schussrichtung, suchen nach dem Gegner und ducken uns automatisch, wenn es zischt. Der Geist arbeitet. Das Auge sucht Angriffsziel und -weg, Stellungen für MG und Granatwerfer. Es sind tatsächlich Augenblicke höchster Konzentration aller Kräfte des Körpers, des Geistes, der Seele, der Nerven. Dazu dieser wunderbare, unbegreifliche Instinkt, der nach vorn wittert und tastet und uns oft stärker steuert als wir ahnen. Das habe ich jedenfalls bei mir mehrmals erfahren, wenn ich bei der nachträglichen Rekonstruktion meiner Verhaltensweise feststellte, dass ich unbewusst gehandelt hatte.
Ich muss meine Zähne wohl etwas zusammengebissen haben, denn als ich sie ein wenig öffnete, spüre ich, dass sie leicht vibrieren. Das ist aber keine Angst. Das ist Spannung. Jeder Frontsoldat kennt diese Gefühl, wenn es ins Feuer ging.
Im Augenblick ist eine Kampfpause eingetreten. Die feindliche Artillerie schweigt. Vielleicht müssen ihre Rohre abkühlen, vielleicht glauben sie das Dorf schon im eigenen Besitz. Vielleicht sind sie sich über den Frontverlauf bei der Turbulenz im Dorf nicht klar. Jedenfalls erreichen wir völlig unbehelligt den Dorfrand, obgleich die Straße ins Dorf auf den letzten hundert Metern über offenes, freies Gelände führt.
Wir dringen ins Dorf ein, bevor die letzten noch kämpfenden Österreicher hinausgedrängt werden. Es sieht allerdings niederschmetternd aus. Auf der Straße liegen gefallene Ostmärker. Mitten auf der Straße liegt ein abgerissener Arm. Er steckt noch im Ärmel des Uniformrockes. Wenige Schritte weiter liegt ein einzelnes Bein in Hose und Stiefel. Das ist die Wirkung von Granatsplittern. Viele Häuser sind restlos zerschossen. Aus den Trümmern ragt nur noch der Kamin. Die noch stehenden Häuser sind ausgebrannt oder von Granaten beschädigt. Die russische Artillerie hat ganze Arbeit geleistet.
Die Ostmärker sind an ihren hohen Verlusten selbst mit Schuld. Man kann doch nicht unter den Augen der feindlichen Artilleriebeobachter auf der breiten Dorfstraße ohne Deckung in hellen Haufen zurücklaufen. Wären sie kämpfend, immer dicht bei der feindlichen Infanterie, immer in Deckung, von Haus zu Haus springend, zurückgewichen, hätten sie halb so viele Verluste gehabt. Weil die feindliche Artillerie dann nur sehr vorsichtig ••• S. 72 •••hätte mitwirken können, um die eigene Infanterie nicht zu gefährden. Aber wenn Panik ausbricht, ist der Verstand zum Teufel.
Da mein Chef bei der MG-Kompanie keine Verwendung für mich hat, gehe ich zu Oberleutnant Rasche, dem Chef einer unserer Schützenkompanien. Ich mache den Angriff bei seiner Kompanie mit. Wir sind erst knapp hundert Meter im Dorf vorgegangen, als wir schon auf den ersten Widerstand stoßen. Die ersten Kugeln pfeifen uns entgegen. Sofort entwickelt sich die Kompanie zum Angriff. Gruppenweise gehen die Schützen rechts und links der Straße vor. Ich bin beim Kompanieführer vorn in der ersten Linie. Wir kauern hinter Hausecken und Mauerresten, spähen vorsichtig um die Ecke und springen dann in kurzen Sätzen zum nächsten Haus, während die Gruppenkameraden an der anderen Hausecke Feuerschutz geben. Dann jagen die Vorangesprungenen den in den Ruinen versteckten Iwans einen Geschosshagel aus Maschinenpistolen und Karabinern entgegen, um sie in Deckung zu zwingen. Dann kann die hintere Gruppe nachfolgen. Alte, im Frieden oft geübte Technik. Es geht Sprung um Sprung, Zug um Zug. Feuern, springen, feuern, springen. Dabei bleiben die Gruppen immer durch Zuruf oder mit den Augen in Verbindung. Die Energie und die Schnelligkeit unseres Gegenangriffs hat die schon siegessicheren Russen verwirrt. Sie weichen zurück. Die ersten Gefangenen – drei Mann – kommen mit erhobenen Händen aus den Trümmern eines Hauses. Wir schicken sie nach hinten. Weiter geht’s. Ich springe mit dem Kompanieführer. Kugeln zischen vorbei. Ziu-zing – klatschend schlagen sie in die Mauer. Da faucht es wütend heran. Ich schmeiße mich blitzschnell hinter einen Misthaufen. Bränng – berstend krepiert eine Granate, Splitter surren durch die Luft und Erdbrocken klatschen zu Boden. Eine dünne schwarze Rauchfahne zieht über uns hinweg.
Da schmettert drüben auf der anderen Straßenseite eine Granate zwischen die Häuser. Unsere Männer ducken sich hinter die Mauern. Ihre Stahlhelme schimmern matt herüber. Jetzt springen sie schon wieder, einer, zwei. Schüsse peitschen, aber unaufhaltsam dringen sie vor, unsere tapferen, deutschen Infanteristen. Da ist niemand, der zögert oder kneift. Es ist, als wollten sie immer alle vorn sein. Man sieht förmlich den Angriffswillen, den Vorwärtsdrang, den Furor teutonicus.
Haus um Haus erobern wir zurück. Vor einer Stunde trieb der siegesfrohe Feind die Österreicher vor sich her, jetzt jagen wir ihn zurück ohne Artillerie, nur mit Handfeuerwaffen. Das ist deutsche Infanterie. Waffenstolz? Richtig!
Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang |
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente |
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- ↑ KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1804 Frame 000822