26. Dezember 1941
Schon in der Frühe des nächsten Morgens lässt mich der Chef rufen. Er will mit mir meine Granatwerferstellungen besichtigen. Ich rieche den Braten: Er will mich reinlegen. Ich hatte ja gestern abend meine Stellungen gar nicht mehr besucht und konnte sie ihm deshalb jetzt auch nicht zeigen. Das wusste der Chef natürlich. Naja, ein Unglück kommt selten allein. Auf dem Rückweg erklärt er mir, dass ich nun wohl von der Liste der Offizieranwärter gestrichen würde. Sein Wunsch geht allerdings nicht in Erfüllung, denn schließlich macht jeder mal einen Fehler, und wegen einer einzigen Panne wird niemand gleich gehenkt. Ich bemerke aber, dass auch der Bataillonsadjutant von jetzt ab keine Gelegenheit auslässt, um mich anzuschwärzen. Sie vergessen nicht, dass ich sie eine Stunde in der Kälte habe warten lassen, und mein Chef hat deshalb ebenfalls mit Sicherheit vom Bataillonskommandeur eins auf den Deckel bekommen.
Mein Dienst besteht in den täglichen Besuchen der Feuerstellungen, der Überprüfung des Stellungsbaues, der Festlegung des Schussfeldes und u. U. einzelner Ziele, der Aufstellung eines Feuerplanes usw. Die Kampftätigkeit ist gering. Zwischen uns und dem Russen liegt ein breites Niemandsland. Wenn man vom Dorfrand zum Iwan hinüber guckt, schweift der Blick über eine ca. drei Kilometer breite, baumlose, verschneite Ebene, die drüben von dem dunklen Saum eines großen Waldgebietes begrenzt wird. Durch diese Wälder fließt der Donez, und dort am Waldrand liegen die sowjetischen Stellungen. Die flache Ebene ist gut zu übersehen. Nur selten schießen russische Pak oder IG einen kurzen Feuerüberfall oder Störfeuer herüber.
••• S. 58 •••Meist aber liegt das Dorf ruhig und friedlich in der klaren Wintersonne.[1] Die strohgedeckten Bauernhäuschen liegen geduckt im tiefen Schnee, und aus den Kaminen steigt weißer Rauch kerzengerade in die unbewegliche Luft empor. Nur selten unterbricht ein menschlicher Laut oder das Bellen eines Hundes die Stille, und der reine, eiskalte Äther trägt den Schall hell und vernehmlich weit über das Land. Dann ist wieder lautlose Stille, und das Dorf liegt wie erstarrt im klirrenden Frost. Wenn ich durch die Dorfstraßen gehe, quietscht der Schnee bei jedem Schritt unter den Füßen. Auf dem Dorfplatz steht einsam und verlassen das Kulturdenkmal, ein hölzerner Obelisk, dessen Spitze von einem ebenfalls hölzernen Sowjetstern gekrönt ist. Die Dorfkirche, der einzige Steinbau, ist zerstört. Sie steht am Dorfrand, und in ihren Mauerresten befindet sich eine unserer MG-Stellungen.
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- ↑ KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1804 Frame 000747: heute im wesentlichen Ruhe